Harry Greis
Der Goldene Eber
Die Abenteuer eines Geländespiels
Illustrationen: Werner Hofmann
© 1969 by Rex-Verlag Luzern/München
Druck: A. Röthlin, Sins
Einband: Verlagsbuchbinderei An der Reuß AG., Luzern
1.Kapitel
Mit einem Hechtsprung, als gälte es, einen Fußball noch mit letzter
Kraft aus dem Tor zu angeln, warf
Urs sich ins dichte Gebüsch. Irgendwoher war das
Knacken eines dürren Astes an sein Ohr gedrungen.
«Au verflixt, hier sind Dornen», zischte er. Beinahe
hätte er laut aufgeschrien, aber er durfte unter keinen
Umständen entdeckt werden. Er verbiß daher
den Schmerz. Eine lange Brombeerranke hielt sich
hartnäckig an seinem grünen Hemd fest, und über
das rechte Knie rannen Bluttropfen.
Der Bub zog vorsichtig die Dornenspitzen aus dem
Fleisch und tupfte mit seinem zerknüllten Taschentuch
behutsam das Blut ab. Dann faßte er seinen
Dolch, hieb mit kräftigem Schlag den Zweig ab und
löste das widrige Ding vom Hemd.
«Wenigstens ist das Hemd nicht zerrissen, sonst
könnte ich heute abend wieder so einen blöden
Dreiangel zunähen.»
Wohl ging es Urs dabei weniger um das Hemd als
um das Nähen. Als waschechter Jungwächter konnte er zwar Knöpfe
annähen und Risse notdürftig ausbessern, aber trotzdem hantierte er
lieber mit Kompaß
und Karte als mit Nadel und Faden. Denn
Frauenarbeit, so meinte er jeweils großspurig, sei
seiner nicht würdig.
Er steckte das Messer in die Lederscheide, richtete
sich halb auf und lauschte gespannt.
Der Wald schwieg keineswegs. Aus allen Baumkronen zwitscherten die
Vögel, aus dem Moosboden
zirpten Grillen, und ganz in der Nähe stimmte
ein Grünspecht mit dumpfem, schnellem Taktschlag
in den hundertstimmigen Kanon ein.
«Was ist nun jetzt eigentlich los? Wurde ich
entdeckt,
oder bin ich hier hineingesprungen, um
Ostereier zu
suchen?»
Seine Hand griff tastend nach der Brusttasche. Es
knisterte nach Papier.
«Sie ist noch da, und ich werde sie sicher in unser
Lager bringen. Das habe ich versprochen.»
Der Bub klaubte aufgeregt einen Zettel hervor,
blickte lauernd wie ein Sperber um sich, ob nicht
irgendwo ein unberufenes Augenpaar Zeuge seines
Tuns sei, und faltete das Papier auseinander.
«Geheimmeldung von Bulle an den Löwenboß»
stand oben, mit Bleistift geschrieben. Die Meldung
selbst war durch Morsezeichen chiffriert.
Urs warf mit einer längst gewohnten Kopfbewegung
seine dunkle Haarsträhne aus der Stirn und ließ ein triumphierendes
Grinsen über das volle,
braungebrannte
Gesicht huschen:
«Und wir werden den ,Goldenen Eber' vor diesen
langweiligen Bären gefunden haben, so wahr ich
Urs heiße.»
Beinahe hätte er sich vor Freude und Übermut mit
der flachen Hand klatschend auf den Schenkel geschlagen,
da zuckte er erneut zusammen.
«Jetzt hat es doch ganz in der Nähe geknackt. Ein
Tier kann es nicht gewesen sein, denn Großwild
wechselt kaum um diese Zeit, und für Kleintiere war
das Knacken zu kräftig. Zum Donner, wenn mich
hier jemand erwischt, komme ich niemals bis zum
Lager! Aber ich muß durch.»
Hastig steckte er den Papierfetzen wieder in seine
Brusttasche und knöpfte diese fiebernd zu. Dann
schob er langsam die Zweige einer Haselnußstaude
auseinander, um so einen Blick durch das Dickicht
zu gewinnen.
Links, gegen den Hang hin, verdeckte eine Gruppe
junger Nadelhölzer die Sicht. Aber auf der anderen
Seite sah Urs geradezu auf den Waldweg hinunter.
So angestrengt er auch suchte, nirgends mochte er etwas Verdächtiges
erblicken. Ein friedlicher Spaziergänger
konnte also kaum der Urheber dieser beiden Geräusche gewesen sein.
Dort, wo der Weg in die freie Wiese hinaustrat,
öffnete sich der Wald und ließ, wie durch einen gewaltigen
gotischen Torbogen, den Buben einen
Blick hinüber zum Belchen tun.
Brütende Sommerhitze
staute sich über dem Jura und tauchte die
ganze Gegend in ein silbernes Flimmern. Weit hinten
hoben sich ein paar Fetzen von Schönwetterwolken
vom stahlblauen Himmel ab, und hoch droben segelte mit ruhigen
Schwingen ein Bussard so
leicht, als wären alle Gesetze der Schwerkraft aufgehoben.
Urs beneidete ihn beinahe.
«Der sieht unsere beiden Lager, ohne sich mühsam
durchringen zu müssen. Wenn ich so fliegen könnte,
ja, dann wäre uns der Sieg gewiß.»
Der Knabe schaute hinüber zu den goldenen Kornfeldern.
Nicht weit vom Waldrand wurden sie
durch saftige Matten abgelöst. Jetzt erst erinnerte sich Urs an
diesen Waldausgang. Da hatten sie vor
einer Woche zum ersten Mal ihr Lagerhaus entdeckt.
Hei, war das ein Jubel! An ,Zigi Zagi' und Hurrarufen
fehlte es nicht. Berni, Christian und Res
schwangen ihre beflaggten Clairons, die in der
Sonne aufblitzten, und schmetterten zum Gruß den
,Schwyzerbueb' hinüber, und Fredi klopfte die
,Basler Tagwache' auf sein Trommelfell, daß es von
den Wäldern widerhallte.
Ja, und Bulle pfiff alle sechzig Jungwachtbuben zu
sich heran, machte mit dem Arm einen weitausholenden
Bogen und erklärte feierlich:
«Hier werden wir vierzehn Tage lang unsere Ferien
verbringen. Seht euch diese tolle Gegend an. Da
drüben liegt der Belchen und hinter uns der Homberg.
Dort weit im Hintergrund, nordöstlich von
hier, ist der
Hauenstein. Da führt eine Paßstraße
von Olten nach
Basel. Schon die alten Römer benützten
diesen Weg, allerdings noch nicht im Cadillac.
Heute aber fährt man am schnellsten durch den
langen Tunnel,
der nicht weit von da, wo wir stehen,
durch den ganzen Berg führt. Und dort, rechts
unterhalb der
Belchenfluh, jenem schroffen Felsen,
der sich wie ein Kegel über den Wald erhebt, seht
ihr, gleich
neben dieser hellen Waldschneise, unser
Lagerhaus.»
Bulle hatte damals kaum seinen Vortrag beendet,
stürmten alle diese Stadtbuben, die eben den
grauen, beengenden Häuser- und Straßenzügen entronnen waren, wie
freigelassene Hunde den Abhang
hinunter, unbeachtet der Mühen, die es kostete,
sich auf der anderen Seite wieder
hochzuarbeiten,
denn jeder
wollte der erste sein, der seinen Fuß auf das Lagergelände setzte.
Urs blickte lange dort hinüber. Die Flaggen hingen schlaff und träge
am Mast; das Rot der Schweizerfahne
zeichnete sich am deutlichsten vom grünen Hintergrund ab. Weniger
klar ließ sich das Jungwachtbanner erkennen. Vor einer knappen
Stunde
war der Meldeläufer dort drüben mit einer für die
Löwen außerordentlich wichtigen Botschaft gestartet
und hatte sich in mühseliger Kriech- und
Tarnarbeit bis
hierher durchgeschlagen.
Seit heute morgen lag die grüne Schar, in zwei
feindliche Lager gespalten, an recht
gegensätzlichen,
gut versteckten Punkten auf der Lauer, und
kaum verstrichen fünf Minuten, ohne daß irgendwo
ein Feldstecher ans Auge gesetzt und Meter für
Meter das gegnerische Gelände abgetastet
wurde.
Die Kampfstimmung war großartig, und man versprach
sich, sowohl bei den Löwen, wie bei den
Bären, die
besten Erfolge, möglichst viele erbeutete
,Leben' und
selbstverständlich — daran lag ja der
Reiz des ganzen
Spiels — den ,Goldenen Eber'.
Mit diesem ,Goldenen Eber' war es allerdings so
eine Sache. Es handelte sich um eine kostbare
Schatztruhe, die aus dem Heereszelt Karls des Kühnen
von einem hinterlistigen Junker gestohlen worden
war, als der stolze Burgunder mit seinen Kriegern
gegen Murten zog. Der Dieb soll sich, so erzählte
man, bei Nacht und Nebel mit seinem Apfelschimmel
aus dem Staub gemacht haben; darauf,
krampfhaft das
wertvolle Raubgut vor sich auf
dem
Sattel, mit wehendem Mantel und fliegenden
Haaren in der Nähe von Solothurn gesehen worden
sein und schließlich über den Weißenstein den Paßwang
erreicht haben. Tags darauf hielten Bauern in
der Gegend von Waldenburg den weißen Hengst
auf, der scheu und verängstigt und mit zerzauster
Mähne die Felder durchjagte. Der Junker wurde
oberhalb des Paßwangs tot aufgefunden. Seine
Leiche lag am Fuße eines hohen Felssturzes. Den
Schatz aber hatte niemand mehr gesehen.
Nun ging das Gerücht um, wilde, bärtige Wegelagerer
hätten den jungen Reiter angefallen, über
jenen Felsen gestürzt, die Schatztruhe in das Belchengebiet
geschleppt und dort schließlich an einem
geheimen Orte versteckt. Der Geist des Junkers aber wäre im Körper
eines wilden Ebers diesen
Raubmördern gefolgt und hätte sich in einer Vollmondnacht
aufs gräßlichste an ihnen gerächt. Deshalb
hieße dieser Schatz ,der Goldene Eber'.
Viele wagemutige Männer hätten sich schon aufgemacht,
diese Kostbarkeit zu suchen, aber alle wären,
so raunte man sich zu, auf geheimnisvolle Weise
vom Erdboden verschwunden.
Die Jungwächter waren nun ausgezogen, diese
Schatztruhe zu erobern, und sie hatten sich geschworen, vor nichts
zurückzuschrecken, selbst
nicht vor einem wilden Eber. Die Jagd nach dem ,Goldenen Eber'
bildete den spannenden Moment
ihres großen Geländespieles.
«Es ist doch nichts zu sehen.»
Urs schob sich, auf
allen Vieren
kriechend, durch das Buschwerk. Lautlos
und lauernd wie ein Fuchs, der ein Reh wittert,
schob er sich Meter um Meter vorwärts. Einmal
schreckte
er auf:
«Jetzt trete ich selbst auf einen Ast und fürchte
mich vor meinen eigenen Lauten. Aber da bewegt
sich doch
Laub!»
Deutlich vernimmt er jetzt ein gleichmäßig abwechselndes
Rascheln. Das Blut stockt in seinen
Adern, er duckt sich tief und sieht plötzlich einen Buben, der sich
keinen Steinwurf entfernt ebenso
umsichtig durch das Unterholz kämpft.
«Rolf!» schießt es Urs durch den Kopf. «Der
Kerl will natürlich unser Lager ausspionieren. Das
ist ja wieder einmal typisch. Und ausgerechnet den
müssen die Bären schicken. Aber warte nur. Wenn du nicht so verdammt
stark wärest, ich würde dir
jetzt zeigen, wo ,der Bartli den Most holt'. Da
würde dir dein Heucheln schon vergehen.»
Rolf hatte noch nicht bemerkt, daß er ins Blickfeld
eines Spähers getreten war. Unbeirrt zwang er
sich durch die Buchenstauden, wobei er sich auf die
Nadel seines Kompasses verließ, die ihm, auf einem
Spiegelchen tanzend, die Richtung zeigte.
Es stimmte, Rolf war Urs an Körperstärke weit
überlegen, obwohl sie beide gemeinsam die 2. Realklasse
besuchten. Daß sie Freunde wären, konnte
allerdings niemand von ihnen sagen, denn allzugut
leiden mochten sie sich wirklich nicht.
Instinktiv folgte Urs seinem Gegner und grübelte
krampfhaft nach, wie er verhindern könnte, daß
Rolf sein Lager entdeckte.
«Ich muß zuerst dort sein, denn allein schaff ich
es nicht. Uhh, ausgerechnet der! Gerade gestern hat
er mich wieder hereingelegt, der Kerl.»
Urs ließ sich flach auf den Boden fallen, denn Rolf
hatte sich jäh umgedreht. Hatte er etwa die Verfolgung gewittert?
Unbeweglich stand Rolf da, mitten im grünen Laub,
im noch grüneren Hemd, das stolze Chiro auf
der Brust. Ein Sonnenstrahl ließ die freche
Stirnlocke
wie ein Seidenbündel mit Licht durchfluten.
Wenn Rolf seine
runden Lippen so heftig zusammenpreßte,
seine Muskeln im schmalen Gesicht nervös
auf und ab spielten und seine blauen Augen
scharf einen
einzigen Punkt fixierten, dann war er
einer Sache auf
der Spur, dann wußte er: «Hier
droht Gefahr.»
Urs lag dicht am Boden, seine Hände im dürren
Waldgras verkrampft, sein Gesicht, unbeachtet der
stechenden Tannennadeln, auf die Erde gepreßt,
so still, daß er seinen eigenen Atem vernahm und
deutlich jeden Herzschlag spürte.
Doch
da krochen
rote Ameisen über seine Arme und Beine und
spritzten ihre ätzende Säure auf die Haut. Urs
juckte auf.
«Ah, pfui Teufel!» schrie er in die Stille.
«Da ist ja
ein ganzer
Ameisenhaufen!»
Rolf stand mit einem mächtigen Sprung vor ihm,
breitbeinig, die Hände herrschend in den Hüften,
schadenfroh das Elend vor sich musternd, den
Mund zu Hohn und Spott verzogen, — während
Urs verlegen aufstand, mit unwirscher Bewegung
die verhaßten Verräterbestien auf den Boden fegte und mit flammenden
Augen den Blick seines Gegners
erwiderte.
2.
Kapitel
Das Kampflager der Bären schien verlassen. Weder
ein menschlicher Laut vom Waldrand her noch das
Schwenken eines Astes verrieten, daß hier an die
dreißig Buben ungeduldig die nächste Gelegenheit
erwarteten, sich in die Schlacht zu stürzen und
ihren Mann zu stellen.
Erst, wer die grüne Wand auseinanderschob und
durch sie ins Dickicht trat, konnte gedämpftes Flüstern vernehmen.
Dann allerdings stand er mitten
unter den Bären und wehe, wenn er diesen ein
Feind war: er hätte gewiß in kürzester Zeit mit dem
Marterpfahl Bekanntschaft machen müssen.
Die Buben hatten nichts anderes zu tun, als zu warten.
So lagen die einen faul auf dem Rücken und
spielten
gedankenlos mit herunterhängenden Zweigen, die anderen ließen es
sich auf dem Bauch wohl
sein, stützten
den Kopf auf die Ellbogen und
schwenkten die Beine durch die Luft. Einige hockten auf großen
Kalksteinen, die aus der Erde ragten,
und säbelten mit ihren Dolchen an einem Haselstock
herum, während ganz Wagemutige hoch oben
wie Trauben in
den Baumkronen hingen.
Zur selben Zeit knieten Res, der Bärenboß, und die
beiden Gruppenführer Berni und Marcel im Kommandozelt
und brüteten über einer Karte. Lange
schwiegen sie, studierten, erwogen, legten den Maßstab
auf's Blatt, kritzelten Zahlen in ihren Notizblock,
bis Res plötzlich die Stille brach:
«Die Sache ist, auf's Ganze gesehen, gar nicht
so
simpel. Wir können zum Beispiel kaum das Lager
gegen die
Hornfluh hin verlassen, ohne entdeckt zu
werden. Meiner
Schätzung nach müßten die Löwen
ihre Zelte in
der Nähe von Punkt 865 aufgeschlagen
haben. Vermutlich hier in einer dieser Lichtungen.»
Er malte mit dem Bleistift ein Kreuz auf die
Karte. «Das wäre
etwas mehr als 1000 Meter Luftentfernung.
Mit einem Feldstecher beobachten sie
so spielend
unsere ganze Krete.»
«Glaubst du, daß sie wissen, wo wir uns befinden?»
zweifelte Berni. «Unser Lager ist so gut getarnt,
daß es kaum gefunden werden kann. Und wenn es
einer erblickt, steht er nahe genug, um in unsere
Falle zu geraten.»
«Das schon, aber wir können doch jetzt nicht
einfach
zwei Tage hier liegen und die Zeit totschlagen; wir müssen hinaus.
Und außerdem haben die ihre
Spione und Posten
wie wir. Wenn sie auch das
Lager noch nicht
kennen, so wissen sie sicher den
ungefähren Standort. Das ist gefährlich genug.»
Marcel drehte sich auf den Rücken und trommelte
ein paar Takte der ,Reveille' auf das gespannte
Zelttuch. Es war keines jener großartigen
Luxuszelte,
wie man sie überall auf den Campingplätzen
antrifft. Nur
einige Militärzelteinheiten, zuammengeknöpft
über vier Stöcke gespannt, dienten als
Dach. Eine
Wasserrinne brauchte es hier nicht, denn
das Zelt stand
genau auf einem schwach abfallenden
Grat. Das Tuch
konnte schon von wenigen Metern
Entfernung kaum
mehr vom Laub unterschieden
werden, denn es
war mit dunklen Tarnfarben bedruckt.
Allerdings ließ es dafür so wenig Licht
durchfluten, daß die drei Gruppenführer eine ganze
Bahn zurückknöpfen mußten, um überhaupt etwas
auf ihrer Jurakarte zu erkennen.
«Wenn nur Rolf endlich wieder hier wäre. Dann
hätten wir wenigstens den genauen Standort der
Löwen.
Vorausgesetzt, daß er diesen ermitteln
konnte.»
Res schaute auf die Armbanduhr: «Eigentlich
müßte er schon seit einer halben Stunde da sein.
Ich weiß, es ist eine recht heikle Angelegenheit, der
Hornfluh entlangzuschleichen, aber Rolf ist ein ausgezeichneter
Späher.»
«Ja, das ist wahr», warf Berni dazwischen. «Auf
Einzelposten und in Sonderaufgaben leistet er tolle
Sachen. Wenn er nur etwas mehr Gemeinschaftssinn
in die Gruppe brächte.»
«Komm, das ist jetzt egal», knurrte Marcel.
«Mir
wäre
es jedenfalls sympathischer, er würde uns die
Position der Löwen ins Lager bringen.
Überhaupt
muß jetzt einmal
etwas geschehen. Mir wird die
Sache
langsam langweilig. Seit heute morgen hocken
wir da. Gut, wir haben unser Lager eingerichtet,
aber ich möchte endlich ein bißchen Kraft gebrauchen.»
«Nur keine Panik, guter Mann», besänftigte ihn der
Bärenhäuptling. «Erstens geht es um den Schatz,
den wir suchen wollen. Da dürfen wir uns nicht
überstürzen. Dann ist das Spiel in erster Linie für die Buben
gedacht und nicht für uns. Selbstverständlich
sollen wir auch unseren Spaß daran
haben, aber...»
«Komm, streitet nicht, mir fällt etwas ein.»
Berni stieß Res in die Rippen: «Hast du
eigentlich
die Signalraketen
schon erhalten?»
«Signalraketen?» fragte Marcel.
«Ja, wir sollten doch von Bulle drei Signalraketen
bekommen. Wenn im Kampf irgend ein Unfall passiert,
müssen wir doch das Lagerhaus benachrichtigen
können. Die hätte ein neutraler Meldeläufer
überbringen sollen, und zwar schon um Mittag;
jetzt ist es bald zwei Uhr.»
«Du, da wittere ich eine Falle. Ich spüre so etwas
jeweils in der kleinen linken Zehe. Berni, hole einmal
die Bändel für einen eventuellen Kampf, und verteile sie an die
Buben.»
Berni kroch in den hintersten Winkel des
Zeltes,
schob ein paar dicke Wolldecken von seinem Rucksack
weg und zog diesen zu sich heran. Er klemmte
die
Taschenlampe zwischen die Zähne und löste die
Schnüre. Was da nicht alles zum Vorschein kam!
Der
Bursche kramte ein Bündel roter Wollfäden
aus einem
Wirrwarr von Karten, Kompässen,
Blechtassen,
Armeebestecken und Bleistiften, Erste-Hilfe-Mäppchen,
Gamellen und Feldflaschen. Zuunterst
lag noch ein rot-weißes Tuch. Der Sack flog
klirrend in die
Ecke zurück.
«O. K.
Boß, alles bereit, und für dich ist hier eine
Morseflagge. Hab aber acht auf sie, sie wiegt 250
Punkte.»
Res fing das ihm zugeworfene Tuchknäuel mit der
einen Hand auf, löste die bronzene Schnalle seines
Gurtes und wand den wertvollen Stoff um das Leder.
Da stürmte plötzlich Hans, einer der kleinsten
Jungwächter, zum Führerzelt, übersah vor
lauter
Aufregung die Spannschnur und landete mit einem
herrlichen Salto
genau auf dem Kartenblatt. Nicht weniger entgeistert als die drei
Führer, rappelte
er sich wieder auf, fuhr mit dem Handrücken
über seinen
verschmierten Mund und stotterte keuchend:
«Res, ich komme gerade von der Linde dort drüben,
und...»
«Von wo?»
«Von
der großen Linde bei der Weggabelung.»
«Hans, ich habe doch ausdrücklich erklärt, daß
keiner ohne unser Wissen das Lager verlassen darf,
und in dieser Richtung erst recht nicht.»
«Ich wollte ja nur ein bißchen umschauen. Es wunderte
mich einfach, was dort los sei. Ich bin aber
ganz sicher bis
dorthin gekrochen.»
«Das sieht man dir wohl an. Dann erzähl, was los ist.»
«Ja, wie ich so im Gras liege und hinunterschaue
— weißt, zu dem Bauernhof da unten ...» Hans
zeigte mit dem Arm die Richtung.
«Ah, du meinst den Erlihof!»
«Da stehen zwei Personen hinten beim Holzschopf
und
fuchteln mit den Händen in der Luft.»
«Und, dürfen die das nicht?»
«Schon, aber das waren sicher Jungwächter, ein
größerer und ein kleiner. Auf alle Fälle trugen sie
grüne Hemden. Und da sehe ich, wie auf einmal
ein grauer VW heranfährt und anhält. Die Kerle
rennen zuerst zum Auto und tragen dann irgend
einen
Gegenstand in Blitzeseile zum Wäldchen hinauf.»
«Und der Wagen?»
«Der hat gewendet und ist verschwunden.»
Marcel stand auf: «Das kann nur der VW des Präses
gewesen sein! Hast du sonst nichts mehr festgestellt,
Hans?»
«Nein.»
«Interessant.» Res fischte seinen Notizblock
unter
der Karte hervor und kritzelte ein paar Worte darauf.
«Ich danke dir, Hans. Aber in Zukunft wird
gefragt, wenn man das Lager verlassen will.
Und
jetzt geh und wasch dir deine Knie und Arme, du siehst ja aus wie
ein kriegsbemalter Roßhaarmulatte.»
Res schlug seinem Nachbarn wuchtig auf die Schultern:
«Auf in den Kampf, die Schwiegermutter
naht. Verteile die Kampfbändel an die Buben. Aber gib nur den
starken mehr als zwei davon, sonst sind
wir nach fünf Minuten ausgehungert. Und du Berni,
gehst nochmals zur Linde, derweil ich mir die Sache
von unserem Ausguck ansehe.»
Er faltete die Jurakarte umständlich zusammen,
steckte sie in seine Ledertasche und verließ gebückt
das Zelt. Dann flitzte er an den beiden ,Schlafkähnen'
vorbei, die ebenfalls aus getarnten Militärblachen
zusammengebastelt worden waren, eilte
quer über den holprigen Eßplatz, wo sich die meisten
Buben aufhielten, und hielt erst bei der großen
Steinplatte, unter der ein lustiges, aber schwaches
Feuerlein züngelte.
Willi war eben im Begriff, einen halben Sack Zucker in den
Kochkessel zu leeren, den er über dem Feuer zwischen einen
klaffenden Spalt geklemmt hatte, als er seinen Führer neben sich
erblickte, mit
einer tiefen, senkrechten Stirnfalte, die verriet, daß
irgend etwas passiert war.
«Los, lösche das Feuer, es wird einen Angriff geben.»
«Was, jetzt, da der Tee gerade fertig geworden
ist?»
Der Bub brach einen frischen Zweig von einer
Staude und rührte damit in der brodelnden Flüssigkeit
herum.
«Hm, wie der duftet, gleich kannst du einen Schluck probieren.»
«Verteile meinetwegen an die anderen. Ein wenig
Stärkung vor der Schlacht schadet nichts, aber
mach schnell, und das Feuer muß ausgelöscht werden.»
Der Koch tauchte seinen Becher in den Kessel und
kostete.
«Oh, très bien, willst du?»
«Nein, ich muß jetzt fort. Mach vorwärts.» Und
weg war Res.
«Immer diese Hetzerei», knurrte Willi, «na ja,
Schicksal. Max, komm, hilf mir den Kessel vom
Feuer nehmen. Der Tee ist finito.»
Der Gerufene eilte herbei: «Du mit deinen ewigen
Fremdwörtern!»
Zu zweit zogen sie mit Hilfe eines dicken Astes den
heißen Topf aus dem Spalt heraus und stellten ihn
zur Abkühlung beiseite.
«Wer Tee will, soll kommen. Aber avanti, avanti!»
Sich beinahe selbst überschlagend, hastete Res den
schmalen Pfad entlang zur Erlifluh. Dort lagen Sigi und Franz über
einer hohen, jäh abfallenden Felswand
auf der Lauer und spähten mit einem Fernglas
aus schwindelnder Höhe über einen gähnenden
Abgrund hinweg
zum Weidli hinüber.
Der Punkt eignete sich großartig als Beobachtungsposten.
Allerdings durfte man kein Drehen im Kopf
verspüren, wenn man da oben stand, und ein komisches
Gefühl in der Magengegend konnten selbst ganz Mutige nicht
verhindern. Silberdisteln und
Erikasträucher
säumten die unheimliche Steinplatte,
und einige ganz
waghalsige Bergföhren lehnten weit
über die Wand
hinaus. Das ganze, weite Lagergelände lag frei und unbehindert vor
den beiden jungen
Menschen, die stumm nach Süden deuteten und
beinahe
rhythmisch das Glas wechselten.
«Ist etwas?» keuchte Res hinter ihnen.
«Kerl, hast du mich erschreckt!» Sigi hätte beinahe
seinen Feldstecher fallen lassen. «Ja, vorhin
war
Bulle
mit dem Präses da unten.»
«Ich weiß, aber wo und wer sind die beiden Jungwächter?»
«Die sind gleich ins Holz da drüben verschwunden.
Wer es war, konnten wir nicht feststellen, denn sie
mußten sich hinter dem Bauernhof aufgehalten
haben. Auch gelang es uns nicht zu erkennen,
was
mit
dem Auto geschah. Es fuhr hin, kam nach
knapp drei
Minuten wieder hinter der Scheune hervor
und verschwand. Erst da gewahrten wir die
beiden Buben,
die davonstürmten und ein Paket mit
sich
schleppten.»
Franz hatte das Glas angesetzt. «Aha, der VW steht
wieder vor dem Lagerhaus. Aber da, schau einmal
da hinüber!»
Er reichte Res den Feldstecher.
«Tatsächlich, jemand kriecht dort durchs Gras.
Habt ihr den Boten nicht gesehen, der uns die
Raketen bringen sollte?»
«Nein.»
«Und wo liegt das Löwenlager?»
«Vermutlich dort im Südwesten. Jedenfalls tauchen
dort ab und zu für kurze Zeit Gestalten auf.»
«Also hört. Ihr bleibt jetzt noch eine Weile hier.
Einer paßt auf und der andere kommt nach zehn
Minuten ins Lager. Alles Weitere ergibt sich. Wenn
etwas besonders Verdächtiges zu entdecken wäre,
meldet ihr dies uns sofort. O. K.?»
«Yes.»
Indessen hat Marcel die größte Mühe, die quecksilbrigen
Buben im Zaum zu halten. Denn wenn das
Kampfblut in den Adern kocht, vergessen sie nur
allzuleicht jede Disziplin. Die Kletteraffen haben
ihre Hochsitze verlassen, die Schnitzmesser stecken
wieder in ihren Lederhüllen und bei der Kochstelle
zeigt ein dampfender Qualm, daß das Feuer seinen
Geist ausgehaucht hat.
« Jeder bindet einen Bändel an den linken Oberarm,
und zwar so, daß er nicht verdeckt ist. Der zweite
dient als Notration.»
Die Jungwächter knöpfen sich gegenseitig die Wolle
um
den Arm, und zwei, drei der mutigen Krieger
üben an irgend einem ahnungslosen Gegner ihre
‚Kunstgriffe'.
«So, und jetzt seid nicht so übermütig. He, Werner
und Heini, rauft nicht, sondern spart eure Kraft
noch auf! Es gelten nun folgende Regeln: Der Bändel
des Feindes muß weggerissen werden. Der
eigene darf nur mit der rechten Hand geschützt werden.
Alle müssen immer dicht beisammen bleiben,
nur so sind wir stark. Verpulvert euere ,Leben'
nicht durch unnötige Sondersprünge. Und vor allem
müssen wir unseren Boß Res gut verteidigen, denn
seine Flagge am Gurt ist kostbar. Anderseits aber
trachten wir möglichst darnach, den Oberlöwen
Fredi von seinem Tuch zu befreien. Und dann ...»
«Hilfe ! ...»
Ein Mark und Bein durchdringender
Schrei läßt die Worte in Marcels Hals versiegen.
Die Buben starren entsetzt auf ihren Führer. Keiner
wagt einen Ton von sich zu geben. Jetzt wieder,
ganz nahe am Lager:
«Au — Oh!»
Da torkelt urplötzlich Köbi auf die Gruppe zu,
tritt in den Kreis und läßt sich scheinbar erschöpft
auf die Knie gleiten. Sein Gesicht ist über und über
rot beschmiert und an einem Bein flattert ein notdürftiger
Nastuchverband, ebenfalls blutig verfärbt.
Daß dies aber nur Tusche ist, fällt vor lauter
Schrecken niemandem auf.
«Um Gottes Willen, helft mir», haucht er jammernd.
«Ich hätte euch die Signalraketen übermitteln
sollen. Da, wie ich bei der Weidlihütte vorbeikomme,
überfallen mich aus dem Hinterhalt zwei
Vagabunden, oder Räuber, oder ich weiß nicht was. Ich traute meinen
Augen nicht, denn die glichen genau
den Gesellen, die einst den ,Goldenen Eber'
hiehergeschleppt haben. Einer packte mich und der
andere riß mir die Raketen weg. Natürlich setzte
ich mich zur Wehr. Da verprügelten sie mich nach
Noten und schmissen mich die Halde hinunter.»
«Da haben wir's», knurrt Res, der zurückgekommen
ist. «Ich habe gleich gedacht, daß etwas nicht stimmt. Los, macht
euch bereit, wir müssen die Raketen
zurückerobern, die sind für uns lebensnotwendig.
Peter, du bleibst als Wache da und sorgst
für den armen Kerl; und du Berni, holst dein Clairon.
Denen bleuen wir einen gehörigen Schrekken
ein. Herrschaft, wenn nur Rolf endlich zurück
wäre. Der bleibt auch wieder auf der Strecke.»
«Wo bleibe ich?»
Keiner hat bemerkt, daß Rolf angekommen ist.
Triumphierend schwenkt er einen weißen Zettel
durch die Luft.
«Wo warst du nur so lange?» schimpft Res.
«Nur nicht gleich hochgehen. Erstens kenne ich das
Löwenlager, und zweitens habe ich da ein ganz
interessantes Papierchen.»
«Zeig her!» Der Führer überfliegt das Blatt, das
mittlerweile mit grünen und braunen Flecken und
einem kräftigen Riß ,verziert' ist.
«Wie kommst du zu der Meldung?»
«Die habe ich dem Meldeläufer Urs Schweninger
abgenommen.»
«Toll! Bravo! s'Zäni!» schreien alle wild durcheinander.
«Wie ich da mitten zwischen uns und den Löwen
dahinschleiche, erwische ich den Kerl. Er muß
mich schon vorher gesehen haben, denn er hockte am Boden. Da kniet
der Narr in einen Ameisenhaufen
und fängt zu brüllen an.»
«Das gleicht ihm wieder.»
«Na ja, wir veranstalteten eben ein kleines Ringkämpfchen.
Übrigens habe ich den Schwächling
noch nie so kämpfen sehen. Verbissen preßte er
eine Hand auf die Brusttasche und wehrte mich
mit der anderen ab. Das fiel mir auf. So wollte ich
sehen, was er denn so Wertvolles zu verbergen hatte,
und konnte ihm diesen Wisch entwinden. Wie er
die Meldung in meiner Hand wußte, fing er zu heulen
an, vermutlich um mein Mitleid zu erwecken.
Aber darauf
fällt der Sohn meines Vaters nicht herein.»
«Du, das haut. Wartet noch zwei Minuten, bis
wir
die
Meldung entziffert haben. Und dann aber nichts
wie los, gleich
unseren Vätern bei Morgarten!»
3. Kapitel
«Zum Donner nochmal, ausgerechnet jetzt mußte
mir der
blöde Kerl in die Quere kommen. Und
schuld an allem Elend sind diese einfältigen
Ameisenbiester.»
Urs hockte am Wegbord, stellte die Ellbogen auf
die Knie und hängte seinen Kopf niedergeschlagen
zwischen die Fäuste. Am liebsten wäre er gleich
davongelaufen. Die ganze Welt samt dem Wald und
seinen Ameisen konnten ihm in die Schuhe blasen. Eines dieser
niedlichen Tierchen krabbelte unschuldig
und ahnungslos seiner Hose entlang hinauf und
wagte sogar, auf seinem nackten Arm einen kleinen
Nachmittagsbummel zu machen.
«Au — schon wieder so eine verdammte Kanaille!»
Urs sprang wütend auf, schlug wild um sich und
tanzte tobend im Kreise herum. Da streifte sein
flammender Blick unvermittelt einen hoch aufgetürmten
Ameisenhaufen, der friedlich unter einer alten Fichte lag.
In wildem Zorn sprang er auf den Haufen zu, ergriff
einen dürren Ast und begann ein sinnloses Zerstörungswerk.
Der ganze Ameisenstaat wurde in
Alarmzustand
versetzt. Panik erfaßte die Tierchen.
Sie schossen
kreuz und quer durcheinander und
versuchten,
ihre Brut schleunigst in Sicherheit zu
bringen. Da
hielt der Bub inne. Es schien ihm, als
erwache er aus
seinem Wahnsinn, und wie ein Pfeil
traf ihn die
Scham, weil er so unbeherrscht seinem
Zorn die Zügel hatte gleiten lassen.
«Der Jungwächter schützt Gottes Natur!» trommelte
es in seinem Gehirnkasten, «Herrschaft, was
fällt mir ein!
Diese Ameisen können ja gar nichts
dafür. Schuld
bin ich selber, warum habe ich nicht
aufgepaßt!»
Er strich schuldbewußt mit seinem Stock über den
Haufen, um das aufgerissene Leck zuzudecken.
Allmählich trat Ruhe ein, und die Tierchen nahmen
ihre gewohnte Arbeit wieder auf.
Urs setzte sich, etwas ruhiger geworden, an seinen
alten Ort zurück. Den Stecken hielt er noch immer
in der Hand und stocherte damit nervös in der
harten Erde herum.
«Was tue ich jetzt nur ohne Meldung?»
Er konnte es einfach nicht fassen, daß der
Zettel
nicht mehr da war. So schnell hatte sich aber auch
alles
zugetragen:
Rolf packt ihn an den Schultern; er seinen Gegner
am Gurt. Beide zerren wie die Wilden und Urs
muß bald feststellen, daß er viel schwächer ist. Da
stolpert einer und beide rollen fest umschlungen ins
Gras. Einmal liegt Rolf oben, dann wieder Urs.
Nur das heiße Keuchen der beiden Kämpfer ist zu
vernehmen. Urs kämpft wie ein Löwe, aber bald
versagen ihm die Kräfte. Jetzt hat er nur noch den
einen Gedanken: möglichst bald und ungeschoren aus dieser Zwickmühle
zu verschwinden und die
Depesche in Sicherheit zu bringen. Krampfhaft
preßt er daher die Hand auf seine Brusttasche. Wie Rolf darnach
greifen will, dreht er sich mit letzter
Kraft auf den Bauch, um das Papier besser zu
schützen. Aber der Feind wird gerade durch diese
Gebärde erst recht neugierig, zwingt Urs die Hände
auf den Rücken und arbeitet den Zettel aus seiner
Sicherung heraus. Ein kurzer Blick genügt. Er
springt auf, eilt wie ein Wiesel davon und ruft
höhnisch:
«Adieu, merci.»
Urs fuhr mit dem Handrücken über die Augen.
Die Meldung war weg, und daran ließ sich nun einfach
nichts ändern.
«Wenn ich sie doch wenigstens gelesen hätte, dann
könnte ich mir nochmals eine fabrizieren. Uh —
hätte
ich sie doch entziffert! Aber da kam ja Rolf
dazwischen.
Womöglich hat er mich sogar bespitzelt
und wußte, daß
ich eine Botschaft bei mir trug. Ich
weiß nur noch, daß oben irgendwelche Koordinaten
angegeben waren, aber die Zahlen habe ich mir
auch nicht
gemerkt. Verflixt. Was tue ich bloß, was
tue ich bloß?
Ohne Meldung darf ich nicht ins Lager
kommen. Was würde da Fredi sagen?»
Es hatte Urs unglaublich viel gekostet, das Amt
eines Meldeläufers übernehmen zu dürfen.
Fredi,
der Löwenboß, hatte Bedenken. «Du bist nicht gerade
der Stärkste, und an Erfahrung fehlt es dir
auch. Bleib bei
der Schar, das wird das Günstigste
sein», hatte er
gesagt, aber Urs ließ nicht locker. Einmal wenigstens wollte auch er
seinen Mut und sein
Können zeigen. Im
Wald kannte er sich aus und
für
Geländetechnik schlug sein Herz. Nun, so gab
der Führer ihm
den Segen, nachdem er hoch und
heilig
versprochen hatte, die Meldung bombensicher
ins Lager zu
bringen. Und jetzt saß er ohne sie da
und traute nicht, seinen Kameraden unter die Augen
zu treten.
Dabei wäre dies
die
große Chance
gewesen.
«Und wie die anderen jetzt spotten werden. Vor
allem Andi mit seinem geschliffenen Schnabel, und
Charli ist auch nicht besser. Ich höre sie schon:
,Seht euch den Schwächling an.'»
Wieder brach Urs fast in Tränen aus:
«Was kann ich denn dafür, daß ich nicht so
stark
bin
wie die anderen, daß mein Vater mir keine
Möglichkeit geben kann, körperlich zu
arbeiten? Auf den Sportplatz darf ich auch nie gehen. Ein Wunder
überhaupt, daß sie mich zur Jungwacht
lassen. Immer
muß ich mit fein gebügelten Hosenfalten
herumstolzieren. ,Hast du deine Hausaufgaben
auch richtig gemacht? Zeig her!' heißt es die
ganze Zeit. — Ja,
da möchte ich Rolf heißen. Der
hat es anders.
Sein Vater besitzt eine Autobude.
Da sieht man ihn
immer im blauen Überkleid an
den Wagen
herumhantieren. Und beim Junioren-FC
spielt er auch mit. Wenn ich nur schon seinen Namen
rieche, geht mir das Taschenmesser im Hosensack
auf. Immer hat er etwas zu meckern, auch in der Schule. Der will
alles können, dabei überflügle ich ihn glatt in einigen Fächern. Der
soll doch bei seinen Vehikeln bleiben und mich in Ruhe lassen.»
Urs hatte sich erhoben, ergriff einen Föhrenzapfen
und schleuderte ihn mit voller Wucht hoch ins
Geäst
einer Weißtanne. Dann steckte er die geballten
Fäuste in die
Hosensäcke und schuhte im Waldgras
herum. Das Sonnenlicht flutete warm durch die
hohen Baumkronen. An wenigen Stellen genossen
helle
Farnpflanzen die Kühle des Schattens. Der
Bub blieb stehen.
Hier, an der Stelle, wo die Blätter
auf den Boden gewalzt waren, hatte er mit
Rolf um die Depesche gekämpft. Die Galle stieg
ihm beim Anblick dieses Ortes hoch, dann aber schlug sein Gemüt auf
Wehmut um. Eine hohle
Sehnsucht nach etwas Unbekanntem stieg in ihm
auf:
gekränkter Stolz, leere Traurigkeit.
«Was liegt denn hier?» Zwischen all dem Grün
entdeckte Urs ein kleines, rotes Büchlein. «Zum
Kuckuck, ein Notizblock mit Kalender. Da schau
einer
an, der gehört Rolf. Der muß ihn beim Kampf
verloren haben.»
Er faßte den Buchrücken und ließ die Blätter durch
die Hand gleiten: Mutters Geburtstag am 4. Oktober,
Erste Hilfe, Posttarife, Notizzettel mit fortlaufenden
Nummern.
«Ah — alles erinnert mich an den Menschen.» Das
Büchlein flog in weitem Bogen ins Gestrüpp.
«Halt einmal. Das bringt mich auf einen glänzenden
Gedanken.» Er kroch unter die stechenden
Tännchen und fischte das rote Ding wieder hervor.
«Ich schreibe doch eine Meldung und erfinde
einfach
einen neuen Text, tue aber so, als wüßte ich
von gar nichts.»
Urs suchte nach seinem Bleistiftstummel, den er
nebst Sackmesser, Schnur,
Bierflaschenverschluß und einigen verbogenen Büroklammern immer in
der
Tasche trug, zerrte ein Notizblatt aus dem Kalender
und setzte sich auf einen morschen Holzstumpf.
Er zog das eine Bein an, um so bequem das
Knie als Unterlage zu benützen. Aber so
einleuchtend
ihm die Idee zuerst schien, jetzt wußte er
nicht, was er
schreiben sollte.
«Ich muß natürlich alles in Morseschrift setzen. —
Aber irgendwie dünkt mich die ganze Sache doch
etwas faul. Ich kann doch nicht einfach eine Falschmeldung
machen. Das müssen die doch herausbekommen.
Außerdem kennt Bulle den Text. Oder
wenn die Bären
mit dem Zettel erscheinen und Rolf
erklärt, daß er
ihn mir weggenommen hat, dann
ist erst recht
alles im Eimer. Verflixt, schon wieder
dieser Rolf! Och, ich könnte ihn...»
Urs schämte sich fast über seine Gedanken.
Sollte
er nicht als Jungwächter allen ein flotter Kamerad
sein? Weist nicht Bulle immer und immer wieder
auf
diesen Punkt hin, und war nicht alles ja bloß
ein Spiel?
«Aber, ich kann einen Menschen wie Rolf nicht
lieben.
Ausgerechnet ihn. Das kann ich einfach
nicht tun. Da
hat Bulle leicht reden, der hat keine
Feinde, und als
Lehrer ist er sowieso ein angesehener
Mann. Rolf lieben — ich kann es nicht. Er ist mir
so zuwider. —
Halt, jetzt weiß ich was. Ich
schreibe doch
eine Falschmeldung. Und zwar mit
Koordinaten
irgend eines abgelegenen Punktes.
Man
wird dort zwar den ,Goldenen Eber' nicht
finden, aber
die Hauptsache ist, daß ich eine Meldung
habe. Bulle ist ja weit weg im Lagerhaus und
wird kaum in nächster Zeit hier auftauchen,
und
die
Bären werden wohlweislich nicht verraten, daß
sie dem Schatz
auf der Spur sind, wenn überhaupt
etwas über ihn
in der Depesche steht. Sollte es
nachträglich doch
auskommen, so behaupte ich
ganz einfach,
daß Rolf die Falschmeldung geschrieben
haben müsse und, um mich zu täuschen, dieselbe mit der richtigen
vertauscht hätte. Der Zettel
stammt ja
aus seinem Notizblock, und Zeugen hat
er keine.»
Urs war sich noch nicht ganz im klaren, wie
die
Sache überhaupt verlaufen sollte. Er wußte nur das
eine:
«Ohne Meldung darf ich unser Lager nicht betreten. Und wenn sie als
falsch erkannt wird, schiebe
ich sie Rolf zu. Unsere Leute sind dann auf ihn angeschlagen,
weil sie seinetwegen in den Kakao stiefeln
mußten.»
Er begann zu kritzeln: ,Geheimmeldung von Bulle
an den Löwenboß.'
«Zum Donner, jetzt habe ich keine Karte. Ich kann
doch nicht einfach irgendwelche x-beliebigen Koordinaten
hinschreiben. Womöglich liegt dann der
Punkt mitten im Genfersee. Laß ich das einmal
aus. überhaupt muß ich mich beeilen.»
Er schrieb gewandt auf das Papier: «—
— .
/
— — —
/
. — . . / — . ./ . / — . / . / . — . // . / — . ../ ./. — . //— — .
/ . / … / ..
/ — — — —
/ — / . / — // Goldener Eber gesichtet. Achtung,
der Feind ist ihm ebenfalls auf der Spur. Rasches Handeln tut not.»
Unten schrieb er das Wort Bulle hin, vorsichtshalber
ebenfalls mit Morsezeichen, denn eine Unterschrift zu imitieren,
wagte er nicht.
Der Bub horchte auf. Von ferne hörte er die hastigen
Töne eines Clairons und ein verzerrtes Geschrei.
«Haben die etwa zu kämpfen begonnen? Das würde
gerade noch fehlen! Und ich hocke noch immer da
und sollte seit einer halben Stunde zurück sein.
Halt — das ist ja günstig. Dann ist das Lager
verlassen.
Ich hole mir im
Führerzelt eine Karte und
messe
Koordinaten aus. Aber das Büchlein. Wenn
ich das bei mir habe, kann ich ja ebensogut
den Falschtext geschrieben haben. Das muß Rolf wieder
erhalten, ohne daß er etwas merkt.»
Der Bub schiebt sich vorsichtig an den Waldrand,
schlüpft zwischen zwei jungen Birken durch und
orientiert sich über den Kampfzustand. Drüben
beim Weidli zittert die Erde. Ein wilder Knäuel
von kämpfenden Jungwächtern balgt sich auf der
Matte. Urs versucht, die blauen Hemden zu zählen.
«Ausgezeichnet. Alle sechs Führer sind beim Kampf.
Jetzt aber nichts wie los zu unserem Lager. Am
besten gehe ich von hinten heran.»
Er flitzt dicht am Waldrand durch das Gehölz, um
von außen nicht gesehen zu werden. Nach kurzem
Lauf steht er in Sichtweite des Lagers. Das Herz
schlägt ihm bis zum Hals. Ganz wohl ist es ihm
doch nicht dabei.
«Jetzt stehe ich hier und muß mein eigenes Lager
anschleichen. Ich weiß nicht recht, ob ich das alles tun darf. Und
erst recht die Falschmeldung? Hat
nicht Bulle uns das Versprechen abgenommen, fair
zu spielen?» Sekundenlang schwankt Urs, dann siegt doch sein Groll.
«Zum Kuckuck! Rolf war
auch nicht fair.»
Er kriecht bäuchlings an den Rand des Buschwerkes.
Sein ganzer Blick fällt auf das verlassene Lager.
Nirgends ist eine Wache zu sehen. Die Feuerstelle
in der Mitte der Waldlichtung ist patschnaß
und kalt. Gleich
daneben liegt ein Kessel mit Wasser.
Es mußte vom Feuer genommen werden, bevor
es zu Tee
bereitet werden konnte. Hinten um den
kleinen Platz
herum stehen im Halbkreis die
Armeezelte, frei
und ohne Tarnung, denn in der Richtung zum Feind hin verschließt
eine mannshohe
Hecke die Sicht. Vermutlich wird dieses Wiesenstück
sonst als Weide benützt, denn wenige Meter
unterhalb des Lagers plätschert fröhlich eine
Kuhtränke. Der
einzige Baum auf diesem Rasen
eignet
sich vorzüglich als Aussichtsposten.
«Aha, da oben hockt einer.» Urs strengt sich an,
die Wache zu erkennen. «Da schau, es ist Markus. —
Ha, der ist mir wenigstens nicht gefährlich!
Aber
sehen
könnte er mich doch, und dann käme alles
aus. Wie komme
ich da nur hinein?»
Er schleicht auf die andere Seite der Lichtung.
Noch immer hört man in der Ferne den Schlachtlärm.
Auch Markus schaut mit wachsender Begeisterung
dem Treiben zu. Er scheint überhaupt nicht
zu bemerken, daß Urs schon wenige Meter vom
Führerzelt weg am Boden liegt. Ein fürchterliches
Geschrei und kurze zerfetzte Claironstöße zeigen
plötzlich an, daß irgend eine größere Operation
geschehen ist. Tatsächlich ist es auch den
Löwen
gelungen, die Morseflagge des Oberbrummbären zu
erobern. Markus
tanzt vor Freude und fällt beinahe
von seinem
Ausguck. Er klettert höher hinauf, um
besser zu sehen,
und just diesen Augenblick benützt
Urs, um sich mit einem Satz hinter die Zeltplane
zu werfen. Schnell kriecht er unter dem Tuch
durch und lauscht, ob sich Markus vom Nußbaum
her
meldet — nichts. Er sucht nach Fredis Führertasche.
«Zum Donner, die liegt doch sonst immer hier in
der Ecke! Jetzt hat er sie womöglich noch mitgenommen. Ach, alles
umsonst. — Nein, da liegt sie!» Er zieht das Leder unter einer
Wolldecke hervor, öffnet und zerrt die Karte heraus.
«Schnell, ich muß mich beeilen. Ich muß in den
Kampf hineinkommen, bevor er zu Ende ist. Wo
ist der Maßstab. Hier. So, jetzt schnell die Zahlen.
Wo schicke ich die Kerle hin? — Da, auf den Hornfluhgrat.»
Er legt den Maßstab waagrecht auf das Blatt.
«631,500 jetzt der Höhe nach
245,575.
So, da haben
die aber zu steigen. Da sind nämlich Felsen.
Und
jetzt
nichts wie zum Loch raus. Hoffentlich paßt
der da oben nicht auf.»
Markus hat auch wirklich Interessanteres zu beobachten,
als sein Lager zu hüten, und so verschwindet
Urs unbemerkt mit seiner falschen Botschaft im
Holz.
4.
Kapitel
Das sonst so friedliche Weidli gleicht einem brodelnden
Hexenkessel. Sogar die alten Eidgenossen
würden staunen, wenn sie den Heldenmut, die
Kriegstaktik und die Kampfeslust sehen
könnten,
die hier geboten werden. Freilich fließt weniger
Blut als bei
Sempach, aber dafür fliegen umso mehr
gelbe und rote Wollbändel in Stücken durch die
Luft und mit
ihnen natürlich wertvolle Punkte.
Es
hat eigentlich damit begonnen, daß auch den Löwen ein neutraler
Meldeläufer vom Lagerhaus
ein Paket mit
drei Signalraketen hätte übermitteln
sollen.
Dummerweise aber schlug Toni mit seiner
hochexplosiven
Fracht ebenfalls, wie Köbi, den
Weg übers
Weidli ein. Damit ereilte ihn kurz nach
seinem Vorgänger
das gleiche traurige Schicksal.
Auch
ihn hätten, so schilderte er wenig später völlig
außer Atem den erstaunten Löwen, brummbärtige
Gestalten von seinen Notraketen erleichtert. Erbittert und zum
letzten entschlossen, zogen deshalb
die Löwen, mit Fredi an der Spitze, nach
Osten und
gerieten dabei ahnungslos den ebenso
verblüfften
Bären in die Arme.
Unglücklicherweise nämlich hatten sie kurz vor
diesen
das Wäldchen zwischen Weidli und Erlihof
erreicht und
dort sofort das ganze Unterholz durchgekämmt.
Dabei entging ihrer Aufmerksamkeit vor lauter Eifer, daß der Feind
in geschlossener
Phalanx anrückte. Erst als die ganze Bande unter
Rufen und Schreien, angefeuert durch die nervenzerreißenden
Claironrhythmen der französischen
Tagwache, den Abhang herunterstürzte, wurden
sie der Gefahr bewußt.
Jetzt entwickelt sich ein unbeschreibliches Durcheinander.
Fünf oder sechs stämmige Löwen stürmen
auf Res zu, fangen seinen Angriff ab und zerren
ihn zu Boden. Sie haben es auf seine Morseflagge
abgesehen. Aber die Bären lassen ihren
Hauptmann nicht
im Stich. Doppelt soviele Buben
verteidigen ihn.
Auch Fredi hat nicht lange zu
lachen, denn sein
rotweißes Tuch flattert gar
schön und
verlockend an seinem Gürtel. Auch ihm
bleibt nichts
besseres übrig, als fest die Fäuste darin
zu verschlingen
und sich von Angreifern und Verteidigern
wie ein Fußball über den Rasen wälzen
zu lassen.
Die nacheilenden Bärenhorden überfluten den Rest
der Krieger und im Nu balgen über die ganze
Fläche verteilt Jungwächter im Gras und versuchen,
sich gegenseitig die Bändel vom Arm zu
reißen.
«He, kommt dahin.»
«Schnell — au!»
«Halt, dein Bändel ist weg — Herrschaft, so helft mir doch!»
«So ist es gut!»
«Nein!»
«Doch!»
«Los, alle auf Max!»
So schreien die grünen Helden unter und übereinander
und können dabei ihr eigenes Wort nicht
mehr verstehen. Die ganze Wiese gleicht nach
kurzer Zeit einem knapp geschorenen Plüschteppich.
Unter den zarten Gräsern, Schaumkraut
und
Salbeipflanzen fristen auch einige freche
Brennesseln ihr Dasein, was für ein
kriegsführendes
Volk mit kurzen Hosen nicht gerade zum reinsten
Vergnügen beiträgt. Aber was macht das denn
schon aus, wenn
es darum geht, die Kraft des Gegners
zu zersprengen.
Res ist völlig machtlos. Die Hände, die nach
ihm
greifen, sind schon gar nicht mehr zu zählen. Ein
undurchdringlicher Wirrwar von Armen, braunen
und blonden
Haarschöpfen, grünen Hemden und
zappelnden
Beinen, ein Zerren und Stoßen an Händen
und Füßen, an Kopf und Gurt und natürlich
an der Morseflagge, ein Zeter und Mordio
lassen
den armen Kerl kaum mehr zum Schnaufen kommen.
Da gelingt es Charli, den Knoten des Tuches zu
lösen. Er zieht es mit einem Ruck aus der Fassung
heraus, springt auf und plärrt jubelnd:
«Hurra, wir haben die Bärenflagge!»
Christian flitzt zu seinem Clairon und entlockt ihm
einen wahren Triumphmarsch. Berauschender Freudentaumel
der Löwen stockt für wenige Sekunden die Schlacht. Der Knäuel um Res
hat sich gelöst.
Enttäuscht erhebt sich der Bärengewaltige,
klopft
den Staub von den Kleidern und fährt müde über
sein
verschwitztes Gesicht.
Seine Leute aber werfen sich erbost auf Fredi, dem
es jetzt um kein Haar besser gehen wird. Auch
er
muß
ein ganzes Gefecht über sich ergehen lassen.
Urs hatte inzwischen die Höhe der Weidlihütte erreicht.
Er gab sich die größte Mühe, ein ordentliches, unschuldiges Gesicht
zu machen und nahm
sich fest vor,
nur das Notwendigste zu erzählen. Er hoffte, in diesem Durcheinander
untergehen zu können.
Auf die Meldung würde jetzt doch keiner
warten, und
sein Ausbleiben haben sicher alle vergessen. Auch möchte er
unbemerkt Rolf das Notizbüchlein zuschieben. Dabei war sich der Bub
völlig
bewußt, daß es jetzt galt, Theater zu spielen, und
wehe, wenn ihm
irgendwo ein Fehler in seiner
Rolle
unterliefe.
Mit einer flüchtigen Handbewegung versicherte er
sich nochmals, daß der Kalender auch wirklich im
Hosensack steckte. Er rückte die bronzene Gurtschnalle
in die Mitte und schritt mutig und selbstbewußt
dem Schlachtfeld zu.
Bis dahin hatte ihn noch gar niemand erblickt.
So stürzte er sich mitten ins Chaos und zupfte und
zerrte wie die anderen, als hätte er schon die ganze Zeit nichts
anderes getan. Tatsächlich fiel vorerst
keinem der Buben seine plötzliche Anwesen- heit
auf.
Ratsch — da riß auch schon sein Bändel und er
galt für den Moment als kampfunfähig. Verloren
überflog er mit einem Blick den Platz.
«Wo um alles in der Welt ist denn Rolf? Aha, dort
kämpft er. So, jetzt wird's aber heiß.»
Er warf sich neben ihn in die Balgerei, zog das rote
Notizbüchlein aus der Tasche und ließ es blitzschnell
zu Boden gleiten.
5. Kapitel
Wenn Fredi seine Löwen ermahnte, den Mund zu
halten und sich etwas vorsichtig zu bewegen, so
erwuchs ihm dies sicherlich aus der guten alten Erfahrung,
daß der Feind stets überall und nirgends
zu finden ist.
Und er hatte nicht unrecht. Kaum
wußten sich die
Bären außer Sichtweite, jagten sie
ihren Rivalen
auch schon den Meisterspion Rolf
nach, der sich
wahrlich einen Spaß daraus machte, die arglosen Krieger zu
bespitzeln.
Nun stand er wieder mitten im Kreis seiner Freunde,
die inzwischen ihr Lager aufgesucht und sich
auf
dem
knisternden Waldgras gelagert hatten, gespannt
wie Regenschirme die einen, niedergeschlagen über den Flaggenverlust
die andern.
«O. K. Kameraden. Diese lausigen Löwen kehrten
nicht zu ihren Zelten zurück, wie wir
vermuteten.
Nur Urs wurde
von ihnen dorthin geschickt. Vermutlich
als Wache, was mich zwar wundert. Nach
dieser Pleite
dürften die ihm doch nicht das ganze Lager mit allem Drum und Dran
anvertrauen.»
«Wohin haben sie sich gewendet?»
«Richtung süd-südost. Soweit ich überblicken
konnte, nahmen sie das Sträßchen über den Hornberg
nach Olten. Verglichen mit der eroberten Depesche
eine ganz falsche Richtung.»
«Das wird eine Täuschung sein.»
«Meinst du? Interessant ist aber, daß sie einen Zettel
mit Koordinaten bei sich hatten. Jedenfalls entnahm
ihm Fredi vor
dem Ausmessen der Karte die
Angaben.»
«Konntest du nicht hören, was besprochen wurde?»
«Leider nicht. Dafür lag ich zu weit weg. Einmal
nur — ich glaube ganz am Anfang — schrien alle
vor
Freude, verstummten aber sofort wieder. Ich müßte mich täuschen,
wenn sie nicht eine Morsemeldung
entziffert haben, denn Christian hörte ich
einmal etwas lauter sagen ,Punkt-Strich-Punkt
ist
R'.
Kaum hatten sie den gesuchten Punkt auf der
Karte gefunden,
marschierten sie geschlossen und
ziemlich eilig ab.»
«Interessant.» Res klatschte sich aufs Knie. «Es
wird sich um eine Meldung handeln, die aber,
aus
den
Koordinaten zu schließen, nicht mit dieser da
übereinstimmt.»
Marcel rückte etwas zur Seite, denn eine Wurzel,
die ein Stück weit aus dem Boden guckte, ließ ihm das Sitzen
unbequem werden. Er stützte das Kinn auf seine Hand und meinte:
«Irgendwo ist doch der Wurm in der ganzen Sache.
Warum reagieren die nicht auf den Verlust ihrer
Depesche, sondern spazieren sorglos einem anderen
Zettel nach?»
«Eben. Darum vermute ich, daß dies eine
geniale
Finte ist.» Res erhob sich. «Willi, hol uns irgend
etwas zum
Spachteln. Ich glaube, daß alle Lust zu
einem Zvieri haben.»
Vor lauter Aufregung hatten die sonst so freßgierigen
Buben das Knurren ihrer Mägen glatt überhört,
stürzten sich aber wie ausgehungerte Wölfe über
die Brotschnitten her, die der behäbige Koch
von
einem
dicken Laib säbelte.
«Alors mes enfants, stopft euere Löcher, damit endlich
wieder Ruhe ist und wir weitermachen können», gebot er und warf
jedem in gezieltem Wurf
ein Stück Schokolade zu.
Der Bärenboß hängte sich die Kartentasche an die
Schultern, stopfte außer Jurakarte, einem Maßstab
und Notizpapier noch eine Rectabussole und
den
‚Jungwächter' hinein und breitete der wilden
Schar seinen
soeben gefaßten Plan aus:
«Paßt genau auf. Wir drei, Berni, Marcel und ich,
werden uns jetzt einmal den Spittelhof unter die
Lupe nehmen. Ihr wißt, das ist der Punkt, der
auf der Geheimmeldung an die Löwen angegeben ist.
Dort sollen ja
heute früh Eberspuren entdeckt worden
sein.»
«Warum dürfen wir nicht mitkommen?» pipste
Hans, dem der Dreck bereits wieder bis über die Ohren stand.
«Wir werden euch nachholen, sobald alles klar geregelt
ist. Stellt euch vor, was passierte, wenn wir
alle dort drüben herumhockten und der Feind
räumte uns das Lager aus. Ihr müßt vorerst da
bleiben und notfalls das Lager verteidigen. Die
Hilfsführer Fridl und Eugen werden euch sagen,
was zu tun ist. Zwei größere Jungwächter
müssen
den Beobachtungsposten besetzen. Habt vor allem
Punkt 853 etwas
im Auge. — Schaut her, da seht ihr ihn auf der Karte. Von dort aus
werden wir Signale übermitteln. Holt
euch bei Berni zwei
Morseflaggen.
— Halt noch etwas. Solltet ihr wirk
lich
unerwünschten Besuch bekommen, so funkt
uns zurück.»
«Wenn wir aber auf dem Felsen morsen, wird der
Feind unsere Meldung mitschreiben. Was dann?»
«Ihr sendet ja nur ‚zurück'. Wenn ihr aber empfangt,
so dürft ihr erst am Ende der Depesche ,verstanden'
geben, damit nichts auffällt. Gut, dann
wäre alles im
Butter.»
Marcel zupfte Res am Ärmel:
«Meinst du nicht, daß Bulle uns auch eine Geheimmeldung
schicken könnte?»
«Freilich. Daran haben wir noch gar nicht gedacht.
Sigi, schau du mal beim Lagerhaus nach. Nachher
kommst du gleich zu diesem besagten Punkt.
Also bis bald!»
Die drei Gruppenführer begaben sich im Eilschritt
zum Erlihof hinunter. Res hob im Laufen ein paar
dürre Äste auf und legte sie zwischen Scheune und
Haus in Form eines Pfeiles auf den staubigen Boden.
«Was soll das geben?» wunderte sich Marcel, ohne
dabei etwas zu denken.
«Eine Kaktusplantage», brummte Berni. «Du siehst
doch, daß es Geländezeichen sind. Wenn wir die
Buben brauchen, müssen sie doch unsere Fährte finden.»
Oben auf dem Erlifelsen aber visierte der
Posten
diese Läufer und holte sie mit dem Feldstecher beinahe zu greifbarer
Nähe heran.
«So, hier muß Punkt 853 sein,» vermutete Res,
als sie den Rand des kleinen Gehölzes erreicht hatten.
Er fischte
seine Kompaßbussole aus der Tasche, zog
klirrend den
Spiegel heraus und peilte den Erlifelsen
an. Dann übertrug er die Richtung mit dem
Maßstab aufs
Kartenblatt und zog einen Bleistiftstrich
über das Papier. Gleicherweise verfuhr er
mit einer
zweiten Richtung. Der Schnittpunkt der
beiden Linien
ergab den gesuchten Ort.
«Ausgezeichnet, wir sind richtig. Jetzt müßte einer
hierbleiben, um allfällige Signale aufzufangen.»
«Gut, ich warte da», meldete sich Marcel und hieb
auch schon mit seinem Dolch vier Weidenzweige
von einer Staude und steckte sie kreuzweise in die
Ecktaschen der Morseflaggen, damit diese fest und
gleichmäßig gespannt wurden. Dann schlüpfte er
zwischen die Büsche und harrte der Dinge, die da
kommen sollten.
Die beiden andern hatten sich durch das Holz gearbeitet
und lagen nun unterhalb des Spittelberghofes,
wo der Wald einen spitzen Vorsprung
machte.
Von hier aus konnte man ungehindert und gut
geschützt durch einen reichen Obstgarten von hinten
ins Lager der Löwen blicken. Dort rührte sich
überhaupt nichts.
«Die sind tatsächlich ausgeflogen. Hoffentlich
stehen
unsere Zelte noch», hauchte Berni und kroch
etwas nach vorne.
«Vielleicht ist es günstiger, wenn nur einer
an den
Hof heranschleicht. Du bist da etwas geschickter.
Ich werde dafür
das Gelände im Auge behalten.
Rufe ich
wie der Kuckuck, gehst du in Deckung. Pfeife ich durch die Finger,
hauen wir durch den Wald ab.»
Berni schlich auf allen Vieren durch das kniehohe Gras zum Hof
hinauf. Kein Lebewesen rührte sich
da. Die Türen waren verschlossen, die verwitterten
Fensterläden zugezogen. Der Bursche tastete planmäßig
die ganze Hausfront ab. Da zog er ein zerknülltes
Papier unter der Bank vor dem Haus hervor,
winkte mit der Hand zum Zeichen des Erfolges
und drückte sich zu Res zurück.
«Eberspuren konnte ich zwar nicht sehen», schmunzelte
er, «denn hier scheinen keine Schweine zu
hausen. Dafür bringe ich dir diesen Zettel da.
An
der
eroberten Meldung scheint doch ein Faden
Wahrheit zu haften.»
Res streifte den Zettel über seine Kartentasche, damit er wieder ein
einigermaßen ordentliches Aussehen
bekam, und drehte ihn um.
«Ein Kroki!» stießen beide fast zur gleichen Zeit
aus und schauten erschrocken nach allen
Seiten,
denn sie hatten dies ziemlich laut getan.
«Komisch, da soll einer drauskommen. Kein einziges
Wort steht drauf.»
«Zeig her!» Berni hielt das Papier an die Sonne,
die schon ziemlich flach durch die hellen Blätter fiel und das ganze
Buschwerk wie ein herrliches goldgrünes
Feuer aufflammen ließ.
«Ein sonderbarer Plan. Anscheinend soll diese
blaue Wellenlinie einen Bach darstellen und das dunkle Viereck ein
Haus.»
Res schaute seinem Partner über die Schultern:
«Freilich, und hier ist eine Brücke eingezeichnet. Aber was nützt
uns das alles ohne weitere Angaben?»
«Jedenfalls nehmen wir das seltsame Ding mit. Wer
weiß, vielleicht gibt es noch weitere Hinweise
dazu.»
«Da hast du recht. überhaupt sollten wir zu
Marcel
zurück. Wenn Sigi eingetroffen ist und eine
Depesche bei
sich hat, werden wir vielleicht etwas
klüger.»
Marcel hatte sich indessen hinter einer Buchenstaude
verschanzt und ganz gemütlich eingenistet.
Von hier aus
konnte er wunderbar zum Erlifelsen
hinüberblicken, der jetzt wie im wärmsten Glutlicht
aufleuchtete. Ein sanftes Lüftchen ließ die
Äste auf und
nieder schaukeln und brachte nach der
Schwüle des
Nachmittags eine kühle Erfrischung.
Da stand, wie aus dem Boden gewachsen, Siegfried
auf der Matte und pfiff leise durch die Finger.
«Psst. Hier bin ich.» Marcel streckte die Hand aus dem Blattwerk.
«Komm schnell und zeig die Botschaft!»
«Bulle hat gefragt, warum ich erst jetzt vorbeischaue.
Die Löwen hätten schon vor einigen Stunden
ihre Depesche abgeholt.»
«Du hast aber nicht verraten, daß wir sie haben?»
«Wo denkst du hin?»
«Aha, ‚Geheimmeldung von Bulle an den Bärenboß'.
Klingt ja in der selben Tonart wie die eroberte.
Mal schauen, was die Chiffrierung erzählt.»
Der Gruppenführer buchstabierte langsam Zeile
für Zeile:
«631.900 / 246.050 Heute morgen Eberspuren entdeckt.
Aber Vorsicht. Das Auge des Feindes wacht.
Bulle.»
«Da schau her. Außer den Koordinaten stimmt der
Text genau überein.»
So vertieft lagen die beiden Jungwächter über
dieser
Geheimbotschaft, daß sie den Angriff vom Rükken
her nicht wahrnahmen. Berni und Res schlichen
sich an sie
heran und hielten ihnen von hinten die
Augen zu. Sigi
fiel vor Schrecken und Grausen beinahe
in Ohnmacht, während Marcel schlagfertig
die fremde Hand
vom Gesicht wegzerrte.
«Du meine Güte, ich glaubte, es wären Löwen.»
Die zwei Humoristen aber hielten sich die Bäuche
vor Lachen.
«Gibt's etwas Neues?» hauchte Marcel, nachdem er
sich einigermaßen erholt hatte.
«Wir haben ein Kroki, aber wir werden nicht
klug daraus.» Berni öffnete den Fetzen Papier und
schob ihn Marcel zu.
«Derweil könnt ihr Bulles Geheimmeldung beaugapfeln.
übrigens haben wir hier den genau gleichen
Text vor uns, wie ihn Rolf organisiert hat. Bloß
ist ein anderer Punkt angegeben.»
Der Bärenchef suchte die Stelle auf der Karte: «Aha. Die Scheune des
Hornhofes. Ganz in der
Nähe unseres Lagers. Langsam dämmert mir ein Licht.»
«Laß es uns wissen.»
«Nein, noch nicht. Zuerst werden wir uns den Ort
einmal anschauen. Vermutlich wird dort ein gleiches
Kroki zu finden sein.»
«Meinst du, daß die Löwen davon wissen?»
«Unmöglich. Die wären unseren Buben längst in die
Finger gelaufen. Aber ihr Lager haben sie
verlassen,
das ist sicher. Vom Spittelberg aus konnten wir
alles
beobachten.»
«Eigentlich sollte man denen die Wache stehlen.
Als Ersatz für die Morseflagge», schlug Marcel
vor.
«Das habe ich auch schon gedacht. Aber da müssen
wir unsere Bären mitmachen lassen. Funk ihnen,
daß sie herüberkommen.»
Der Bursche tat, wie er geheißen wurde. Er
stellte sich an den Waldrand und drehte die rot-weißen
Tücher in
gegeneinanderlaufenden Kreisen. Dann
stoppte er. Auf
der Erlifluh ging eine Flagge hoch. «Verstanden. Fang an!» drängte
Res.
Marcel bewegte seine Arme in gleichmäßigem Takt.
«K-o-m-m-t h-e-r-ü-b-e-r. Geländezeichen ab Erli beachten. Ende.»
Er senkte die Flaggen und wartete. Die Erlifluh
sandte Strich.
«Herrschaft. Nicht verstanden. Hab ich mir
doch
gleich gedacht», knurrte Res. «Morse nochmal.
Vielleicht
etwas langsamer.»
Wieder schwenkte der Gruppenführer die Morseflaggen
durch die Luft. Keiner sagte ein Wort. Man
hörte nur das Flattern des Tuches und dessen Aufschlag
an der Hose.
«Ende. Wenn jetzt nicht Punkt kommt, gibt's Hackfleisch!» maulte
Berni.
«Da. Verstanden!» klang es in vierstimmigem Chor.
Urs warf einen kräftigen Ast ins Feuer, kniete
nieder und blies aus vollen Backen in die knisternde Glut. Dann
öffnete er den Deckel des Kochkessels.
Den Wänden
entlang bildeten sich schon kleine
Bläschen. Bald
wird das Wasser brodeln. Urs
schielte auf
seine Armbanduhr und schob den
Deckel wieder
über den Kessel.
«Bald sechs. Zum Donner, wenn die nur endlich
wieder da
wären. Die werden auch enttäuschte
Fratzen
schneiden. Wenn sie nur nichts gemerkt
haben. Aber wenn
sie nach dem Spiel Bulle fragen
werden? Pah, ich
schiebe einfach alles auf Rolf.»
Er blickte auf.
Die Schatten der Zelte deckten schon
einen großen Teil des Platzes. Der westliche Himmel
schien mit purem Gold durchtränkt zu sein. Zu
oberst auf dem
hohen Nußbaum trillerte eine rabenschwarze
Amsel fröhlich in den einbrechenden
Abend hinaus.
«Wenn nur alles gut geht. — Eigentlich bin ich
doch ein schlechter Kerl. Meine eigenen Kameraden
schicke ich in eine falsche Richtung. Dabei verlieren
sie Zeit und Kraft. — Ach was. Die hätten
mich auch
gehänselt, wenn ich ohne Meldung heim
gekommen wäre.
— Wo ist denn der Zucker?»
Das Wasser kochte und Urs warf eine handvoll
Spezialtee aus Tannenspitzen, Erdbeerblättern,
Brennesseln und Waldmeister in den Kessel.
«Sicher denken die einfach, es sei irgendwo ein Irrtum
passiert, und nach dem Geländespiel ist die
ganze
Geschichte schon wieder vergessen.»
Der Bub schlug den Eingang des Materialzeltes zurück
und durchsuchte den Rucksack des Kochs.
Unter
Raviolibüchsen, Brot und Kochlöffeln fischte er schließlich ein
Paket Würfelzucker heraus. Er
rührte
mit einem Holzstab in der grünen Brühe herum und führte eine
Kostprobe zum Mund.
«Au! Das ist aber heiß!» schrie er und blickte dabei
geradewegs zum Lagereingang. Da sah er — ihm stockte das Blut in den
Adern —, als wäre es das
Selbstverständlichste auf der Welt, einen
blonden
Haarschopf
durch die Blätter grinsen. Und dieser
Haarschopf
gehörte niemand anderem als Rolf.
Urs ließ den
Kochlöffel in den Tee fallen und stand
langsam und
unsicher auf. Zu seinem eisigen Entsetzen merkte er, daß das ganze
Lager vom Feind
umzingelt war.
Was blieb ihm anderes übrig, als
sich
zu ergeben?
Er
hätte laut aufheulen mögen.
Schon wieder
eine bedenkliche Blamage.
Res trat auf ihn zu und faßte ihn am Arm.
«Wenn du schön brav bist, werden wir dir
nichts
tun. Willst du aber ausreißen, so müssen wir dich
leider festbinden.»
Urs wurde es halb schlecht.
«Auch das noch. Jetzt bin ich selbst gelackmeiert». Nein, um keinen
Preis
wollte er fliehen, da war ihm
seine Haut zu lieb. Die Bären setzten sich im Kreis
um das Feuer.
«So, mein lieber Freund und Kupferstecher», spottete
Res. «Meine armen Bärlein haben schrecklichen
Durst. Jetzt wirst du uns eine Kostprobe von deinem
flüssigen Etwas da geben.»
«Ich denke nicht daran.»
«So. — Marcel hol einen Strick, der will doch gefesselt
werden.»
«Nein. Ich gebe euch ja schon. Aber...»
«Aber?»
«Ich muß nur noch einen Schöpflöffel holen.» Urs
wollte zum Zelt eilen.
«Halt, hier geblieben! Das würde dir so
gefallen.
Einen Löffel
holen und dann verschwinden. Max, such du das Besteck! Becher wird
es sicher auch
irgendwo haben.»
Urs fühlte sich wie an den Pranger gestellt. Jetzt
mußte er dem Feind seinen eigenen guten Tee ausschöpfen.
Hätte er seine Kameraden weniger weit
weggeschickt, könnten sie jeden Moment auftauchen.
Aber so...
«Oh, hätte ich nur Salz, statt Zucker hineingemischt!»
«Das würde dir passen.»
«Alle Achtung, der Tee ist genießbar.»
«So, Urs. Jetzt sitzt du ein bißchen zu uns her und
erzählst uns, was deine Freunde treiben und wo sie
umherlungern.»
Trotziges Schweigen.
«Haben sie dich zur Strafe dagelassen, weil du die Meldung verloren
hast?» hänselte Rolf.
«Die was?»
«Tu doch nicht so. Die Depesche, die ich dir abgenommen
habe.»
«Die haben wir ja wieder.»
«So?» Rolf lächelte mitleidig. «Hast du einen Sonnenstich?»
«Nun, wo rumoren die Löwen herum?»
«Weiß nicht.»
Für Urs wurde die Lage langsam prekär. Was sollte
er tun? Um sich zu rechtfertigen, hatte er seine
Leute hintergangen. Sollte er sie jetzt verraten, um
aus der Schlinge des Bären zu kommen?
«Ich glaube, das Bürschchen will nicht reden.» Res
erhob sich. «Am besten nehmen wir ihn mit uns. Als
Andenken. Und damit er uns nicht doch noch
davonrennt, wollen wir seine Händchen etwas zusammenbinden.»
Einer der Buben band ein dünnes Seil um die Hände
des unglücklichen, völlig widerstandslosen Wächters.
Und dann mußte er wohl oder übel die Bärenbande
begleiten, denn sie nahmen den Strick mit in
ihr Lager, und Urs war ja mit diesem Strick gefesselt.
Zum zweiten Mal konnte er heute eine ihm
übertragene Aufgabe nicht erfüllen. Doch nicht
darum glühte seine Stirne. Er dachte an die
Blamage,
die er einfangen wird, wenn seine Leute erfahren,
daß er, statt das Lager zu hüten, den Feinden Gesellschaft leisten
mußte.
«So, Urs. Eine Morseflagge bist du uns schon wert.
Nicht wahr?» freute sich Eugen und klopfte dem
armen Kerl kameradschaftlich auf die Schultern. Plötzlich hielt das
traurige Züglein inne. Alle starrten wie gebannt zur Hornfluh
hinauf.
«Was war das?»
«Sind die nicht gescheit? Die geben ja Notsignal.» «Ich habe die
Rakete genau gesehen.»
«Ich auch.»
«Wo?»
Da. Nochmals raste eines dieser Feuerwerke funkensprühend
gegen den rötlich angelaufenen Abendhimmel.
Knallend und zischend explodierte die Rakete
hoch über den Felsen.
Urs glaubte, ihn verließen die Sinne. Kalter
Schweiß trat auf seine Stirne.
«Um Gottes Willen! Es wird doch nichts
passiert
sein», donnerte sein Gehirn. «Ich kenne die Gegend
nicht, ich weiß
nur, daß Felsen auf der Karte eingezeichnet
sind. Womöglich habe ich einen Unfall
verschuldet.»
Wie ein Trommelfeuer wirbelte sein Gewissen. Was
für eine Lawine hatte diese einzige Gedankenlosigkeit ausgelöst.
Sein Egoismus, seine Eigenliebe, sein
verletzter Stolz waren schuld daran. Mit diesen Gedanken
trottete er still und betroffen dem Trupp
nach, der so
schnell wie möglich das eigene Lager
aufsuchte.
6. Kapitel
Sssssssssst ... das dritte Signal bohrte sich zischend
durch die klare Luft und beendete mit donnerndem
Knall sein kurzes Dasein. Die Grünhemden verfolgten
schweigend und betroffen seine Bahn. Vor
wenigen Minuten noch hätte eine drohende Panik
die Buben
durch den ganzen Hombergwald gejagt,
wenn nicht
Fredi bestimmt, aber ruhig, die Zügel
angezogen hätte.
Nein, diese Raketen wurden nicht zum Spaß gezündet,
nicht als lustiges Feuerwerk und auch nicht
als Spiel. Sie
unterbrachen in ihrer Eigenschaft als
Notraketen die
Jagd nach dem ,Goldenen Eber'.
Jetzt galt es,
nicht einer verborgenen Schatztruhe
nachzuspüren, nicht fremde Lager auszuspitzeln,
um keine
Morseflagge zu kämpfen, sondern einem
Kameraden aus
höchster Not zu helfen.
Der Aufstieg zur Hornfluh hatte zunächst keine allzugroßen
Schwierigkeiten geboten. Leichtes Unterholz
zu durchdringen, wie im Urwald durch das
Blattwerk zu
schlüpfen, kleinere und größere Felsblöcke
zu überwinden, war für diese Stadtbuben
eine recht abenteuerliche Sache, auch dann,
wenn
es
zerkratzte Arme und Beine absetzte. Vor allem lockte ja der ,Goldene
Eber', dessen heimliche Spuren
jeder irgendwo unter Kräutern, herumliegenden
Tannzapfen oder
im weichen Moosboden zu entdecken
glaubte.
Der Wald duftete hier würzig und gesund, und die
jungen Eroberer atmeten diese herrliche Luft in
tiefen Zügen ein.
«Jetzt müssen wir uns im Gänsemarsch bewegen»,
erklärte Fredi, die Hände in den Hüften, seiner
Löwenschar zugewendet. «Wir klettern dem Grat
entlang. Bleibt immer schön in der Mitte. Nach der
Karte zu schließen, werden bald Felsformationen
auftauchen und hernach unser gesuchter Punkt.»
Der Grat
hob sich hier in steilem Bogen in die Höhe.
Keuchend
folgten die Buben ihrem Führer. Baumwurzeln,
kleine Tännchen und oft auch das Hemd des Vordermannes halfen, die
Klippen zu bezwingen.
Manchmal rollte ein Stein polternd nach hüben
oder drüben und
fing sich irgendwo im Dickicht
wieder
auf.
«Prost Nägeli. Jetzt kommen wir aber flach
raus.»
Die eroberungslustige Gruppe hatte eine riesengroße
Felswand erreicht, über deren oberem Saum
der Grat
weiterführte. Schaurig mutete es an, wenn
man von hier in die Tiefe blickte.
«Die Sache scheint langsam brenzlig zu werden.»
Christian rümpfte die Nase. «Daß Bulle auch ausgerechnet
so eine verflixte Gegend aussuchen mußte.
Stimmen die Koordinaten auch wirklich mit der
Karte und unserer Position überein?»
«Da schau her und überzeuge dich selbst», gab Fredi
gereizt zurück und schob seinem Adjutanten Papier
und Maßstab zu. «Ich habe zweimal nachgemessen.
Außerdem ist mit etwas Vorsicht die Überquerung
gar nicht allzu gefährlich.»
«Stimmt.» Christian gab die Karte zurück. «An
deiner Stelle aber würde ich die Buben hier
lassen
und nur mit den Hilfsführern weiterklettern. Es
handelt sich nur um gut zweihundert Meter.»
«Du scheinst ausnahmsweise recht zu haben.
Herbert, Ewald und Guido kommen mit. Inzwischen
hüten Göpf und
du diese wilden Rangen. In einer
Viertelstunde
sind wir wieder da. Wenn etwas los
ist,
pfeife ich zweimal kurz.»
Die vier Burschen stiegen der fast fünfzig Meter
tiefen Felsplatte entlang in gebeugter, zeitweise kauernder Stellung
oder sogar auf allen Vieren.
Jetzt schien die höchste Gefahr überwunden zu sein.
Der Stein stach nicht mehr senkrecht ab,
sondern
ging in eine leichte Neigung über.
«Donnerwetter, schaut dorthin!» schrie
plötzlich
Ewald laut auf.
«Die Bären schleichen unser Lager
an!»
Der Bub zeigte mit dem Arm in die Richtung.
Im Hintergrund
stand die Sonne genau neben der
Belchenfluh und
blendete golden über die ganze
stille Gegend. So
konnten die Hilfsführer nur
schwache,
lichtumflorte Umrisse des Feindes erkennen,
der sich geschlossen ihren Zelten näherte.
Ewald beugte sich
etwas vor, um die gleißenden
Strahlen in den
Lichtschatten des Belchengipfels zu
bringen.
«He, paß auf ... Ahh!» Guido hat zu spät nach dem
Arm seines Kameraden gegriffen. Ewald verliert
sein Gleichgewicht, reißt sich nochmals zurück und
erfaßt einen dürren Grasbüschel, aber der ist
zu
schwach. Das abgezerrte Kraut verkrampft in
Händen haltend,
bleich wie eine Leiche, unfähig
vor
Schrecken überhaupt noch zu schreien, rutscht
er über die
schiefe Wand.
Den Kameraden stockt das Blut. Nur etwa fünf
Meter weiter unten zieht sich ein schmaler Rasenstreifen
über den Abbruch. Wenn sich Ewald nicht
halten kann, wird er weit in die Tiefe
stürzen. Da. Der Bub schlägt hart auf das kärgliche Gras. Er
bleibt liegen
und regt sich nicht.
«Halt dich fest Ewald, halt dich fest,» brüllt Fredi,
beinahe von Sinnen. Da, Ewald kommt zu sich und
krallt sich fest. Seine dunklen Augen starren
leer
aus
dem farblosen, schreckensbleichen Gesicht. Nur
etwas über einen
Meter breit ist diese rettende
Terrasse.
«Gott sei Dank. Ewald, halt dich ums Himmels
Willen fest, und schau ja nicht ins Tal
hinunter!»
Jetzt erst
ertönte Ewalds Stimme:
«Au, mein Fuß! Mein Fuß tut weh. Ich kann meinen
Fuß nicht mehr bewegen.»
«Auch
das noch. Sicher hat er das Bein
gebrochen.
Verflixt, wenn wir nur zu ihm runter könnten!»
«Wir müssen Hilfe holen.»
«Ein Seil vor allem.»
«Wenn er uns nur nicht bewußtlos wird!»
Ewald stöhnte:
«Mein Bein schwillt an. Oh! Ah!»
«Sei tapfer», munterte ihn Fredi auf. Er selbst
hatte sich vom ersten Schrecken erholt und vermochte
nun halbwegs klar zu denken. «Herbert und
Guido, ihr bleibt einmal hier. Sichert euch
gegen.
den Felsen hin und leistet dem armen Kerl Gesellschaft,
damit er nicht aus lauter Angst Dummheiten
macht. Ich werde Hilfe holen und alles organisieren.»
Noch am ganzen Leib zitternd tastete sich der
Löwenführer über den gähnenden Abgrund hinweg.
Jetzt erschien ihm dieser noch viel unheimlicher
als zuvor. Wie ein Magnet drohte er den jungen
Mann an sich zu ziehen. Der wehrte sich mit seiner
ganzen Kraft und stemmte sich mit seinem jugendlichen
Drang nach Leben dagegen. Er sah nicht die
wunderschönen gelben und blauen Pastelltöne über der abendlichen
Juragegend, er hatte kein Auge für
den brillanten Lichtkranz, der die Belchenfluh
krönte. Weder die ruhig segelnden Schwalben über
seinem Haupt, noch die glitzernden
Silberdisteln
vermochten sein
Gemüt zu erheitern. Nur das eine
und einzige
hämmerte auf seine Seele:
«Mein Gott, laß nicht zu, daß das Schreckliche geschieht.»
Am Ende der Schicksalswand erwarteten ihn die
Löwen.
Der Wind hatte in Fetzen Guidos Schrei an
ihr Ohr
geschleudert, und sie ahnten sofort, daß etwas passiert war. Wie sie
nun ihren Chef bleich
und fiebernd
über den Grat hasten sahen, lief den
einen kalter
Schweiß über den Rücken, derweil die
andern über den ganzen Körper Hühnerhaut bekamen.
Fredi setzte sich erschöpft auf einen moosbewachsenen
Felsen.
«Was ist los?»
«Es wird doch nicht etwa ...?»
«So red doch!»
Der Führer wischte sich die feuchte Stirne trocken
und keuchte: «Ewald... unser Ewald ist abgerutscht.
Wir müssen Hilfe holen.»
Die Buben sperrten die Mäuler auf. Das Häufchen
Elend vor ihnen, der Anblick der unheimlichen
Wand und der Schrecken, der in ihre Knochen gefahren
war, löste eine Panik unter ihnen aus. Schreiend
wirbelten sie wild durcheinander und wollten sofort den Abhang
hinunter eilen, um diese gefährliche
Gegend zu verlassen.
«He! Halt! Kommt alle daher, aber sofort. Keiner rührt sich vom
Fleck!» Fredi wurde plötzlich wie
nüchtern. «Euch ist scheinbar nicht recht wohl. Ihr
dürft doch nicht gleich den Kopf verlieren,
sonst
bricht nochmals einer den Haxen.»
Die Buben kehrten beschämt wie geschorene Dackel
zurück.
«Zuerst werden jetzt die Raketen gezündet, und
zwar alle drei. Ewald liegt nur ein paar Meter
unterhalb des Grates und hat vermutlich den Fuß
in Stücken. Charli und Ruedi, ihr zwei haut jetzt
ab an den Waldrand hinunter und fangt Bulle ab.
Er soll ein Seil und Verbandzeug mitbringen. Göpf,
du bleibst mit deiner Gruppe hier und sicherst den
Rücktransport.»
«Wir werden eine Bahre herrichten», meldete Christian.
«Ist in Ordnung. Aber macht das unten bei der
Straße. Hier im Zeug drin können wir sie noch nicht
gebrauchen. Sei so gut und nimm auch meine
Gruppe mit, daß nicht zuviele hier oben herumstehen. — Und — ich
sollte noch möglichst viele
Taschentücher haben.»
«Meines ist nicht mehr ganz sauber.»
«Das macht weniger. Ich brauche sie zum Polstern.»
«Andi, du hast einen Dolch. Schneide mir vier
zünftige Haselnußstöcke zurecht.»
«Wie lang sollen sie sein?»
«Etwa einen Meter. Die bringst du zur Unfallstelle,
sobald Bulle ankommt.»
Fredi stopfte den ganzen Bund Taschentücher oben
in sein Hemd und stieg wieder über den Grat
zurück. Auch die anderen Führer machten sich mit
ihren Gruppen an
die Aufgaben.
Charli und Ruedi schossen eben zum Wald hinaus,
als die letzte Signalrakete ihren Notschrei über das
Gelände heulte, und just im selben Moment tauchten
die Bären mit ihrer eroberten «Beute» ins Blickfeld.
«Was gibt's?»
«Macht ihr Fliegeralarm?»
«Laßt jetzt die faulen Sprüche. Uns ist einer über den Felsen
gefallen. Wir brauchen sofort Hilfe.» «über einen Felsen?»
«Wer?»
«Wo?»
«Tot?»
«Nein, er hat wahrscheinlich nur das Bein
gebrochen und liegt jetzt in einer schwer zugänglichen
Lage. Mit einem
Seil kann man ihn hinaufziehen,
hat Fredi
gesagt.»
Urs spürte, daß das Blut aus seinem Kopf gewichen
war. Weißgrau wie Asche stotterte er:
«Wer? Wer ist es?»
«Der Ewald. überhaupt, was machst du denn bei
den Bären da? Natürlich hast du dich wieder
fangen
lassen!»
Urs glaubte, ein Dolch würde ihm ins Herz gestoßen.
Ewald hatte es getroffen, und er war schuld.
Dabei mochte er Ewald besonders gut. Er wurde
von ihm nie gehänselt, dafür oft verteidigt, wenn
jemand mit ihm streiten wollte. Ja, auf Ewald
konnte er bauen. Ewald war sein Freund. Und jetzt. Wenn nur nichts
schief geht. Das wäre das Schrecklichste
für Urs.
«Wir werden euch helfen», bestimmte Res. «Berni,
Marcel und ich. Die anderen sollen sofort das Lager
aufsuchen und warten, bis ein neuer Befehl
kommt.»
«Dort fährt Bulle mit dem VW vor!»
«He! Daher!»
Der Scharführer stellte seinen Wagen bei der
großen
Linde ab, denn hier konnte er nicht mehr weiterfahren, packte seine
Sanitätstasche und
strebte dem
Waldrand zu. Eigentlich nannte er sich
Andreas Bühler
und außerhalb der Jungwacht
funktionierte er als Sportlehrer am Gymnasium.
Aber seine
stämmige Athletenpostur hatte ihm den
Namen Bulle beigebracht. Mit seiner trainierten Kondition hastete er
leichtfüßig über die weiche Matte.
«Was ist geschehen?»
«Ewald ist ausgerutscht. Vermutlich hat er eine
Unterschenkelfraktur. Ein Seil brauchen wir auch.»
Bulle kratzte sich in seinem hellen Haarschopf, der
vorn über der Stirn wie ein Stern nach allen Seiten
auslief. Seine dunklen Augen drehten sich aufgeregt
in seinem sehnigen Gesicht, das jetzt, wie
immer in solchen Situationen, Ruhe, Zielsicherheit und ein
nüchternes Denken ausstrahlte.
Bulle pflegte in solchen Fällen wenig zu fragen und
nicht viel zu reden. Jetzt zählte die Tat und die
Handlung:
«Da ist der Autoschlüssel. Im Kofferraum liegt ein
Dreißigmeterseil, eine Zelteinheit sowie ein endloses
Seil mit Karabinerhaken. Bringt alles das mit.
Wer zeigt mir den Weg?»
Ewald hielt sich tapfer. Das Bein war inzwischen
dick angeschwollen und der Schmerz drückte ihm
das Wasser aus den Augen. Aber er biß mutig auf die Zähne. Die
Rettungsequipe hatte endlich die
Absturzstelle
erreicht und Bulle überblickte die
ganze Sachlage:
«Zuerst muß er gesichert werden. Dann wollen wir
ihm zu zweit das Bein fixieren. Wo ist das
Seil? —
Da, gut. Nehmt es doppelt und knöpft es in der
Mitte mit einer
Achterschlinge an diese Eiche dort,
und
zwar so, daß es viermal zum Verunglückten reicht.
Der Scharführer zog währenddessen das endlose
Seil um die Hüften und heftete es vorne mit
dem
Karabinerhaken zusammen.
«So ist gut, Fredi. Jetzt gib mir zuerst ein einzelnes
Ende, damit ich mich sichern kann. Gut. — Nun
brauche
ich das doppelte Seil.»
Er fädelte den Strick mit einer Windung um das
Metall des Hakens, prüfte den Zug, blickte nochmals
zur Tiefe und stieg rückwärts zu Ewald hinunter.
Mit gespreizten Beinen, senkrecht zur steilen
Wand, machte er
Schritt für Schritt und ließ dabei
das straffe
Seil langsam durch den Karabiner gleiten.
Jetzt stand er unten auf dem Rasenstreifen.
«Werft mir das
zweite Ende zu, damit ich Ewald
anbinden kann.
Das doppelte Seil könnt ihr hinaufziehen.
Fredi, jetzt kannst du nachkommen. Laßt
auch gleich noch
die Zeltbahn mit dem Rettungsmaterial hinunter.»
Indem Bulle nun dem Unglücklichen eine Rettungsschlinge
um die Brust knöpfte, erkundigte er sich
nach dessen
Befinden:
«Hältst du es noch aus, Ewald?»
«Ach. Es muß einfach gehen. Vor allem ist mir
lieb, wenn ich endlich aus dieser ungemütlichen
Lage herauskomme.»
«Ich werde dir jetzt Schuh und Socken ausziehen.
Sag, wenn es schmerzt. — Hei, ist das Bein
dick!
Bewege einmal die Fersen!»
«Ich kann nicht.»
«Aha. Und die Zehen — geht auch nicht. Ja, wird
wohl gebrochen sein. Wir werden das Bein jetzt
einschienen. Fredi, halt gleich diese beiden Stecken
hin.»
Die beiden Führer banden nun zwei Haselnußstöcke
links und rechts an das gebrochene Bein und
füllten die Stellen, an denen das Holz auf der Haut
reiben könnte, mit Nastüchern aus.
«Was ist mit den anderen Bengeln?»
«Gib sie her. Die binden wir oben und unten
hin,
damit das Bein überhaupt keine Möglichkeit mehr
hat, sich zu
bewegen. Den Fuß müssen wir auch
festmachen,
sonst wackelt er in der ganzen Weltgeschichte
herum.» Nun schnürten sie noch das
kranke an das
gesunde Bein, damit ein guter Halt
zustandekam.
«So, jetzt folgt das Schwierigste. Wie bringen
wir
dich
auf den Grat, ohne noch mehr zu verübeln?»
«Wir legen ihn in
die Zeltplane und ihr da oben
zieht ihn
hinauf.»
Vorsichtig stülpten die beiden Samariter das bunte
Tuch unter dem Knaben durch und knöpften es über seinem Körper fest
zusammen. Dann zogen
sie das doppelte Seil durch die Öffnung und befestigten
diesen Aufzug mit dem Karabinerhaken.
«Wir zwei müssen uns jetzt an die Wand lehnen,
für den Fall, daß er abrutschen sollte. So. Ziehen,
aber langsam!»
Wankend stieg der windige Fahrstuhl in die Höhe.
Die Burschen verankerten sich auf der anderen
Seite des Grates mit den Schuhen an Baumwurzeln
und zerrten mit vereinten Kräften am Strick.
«Hurra. Er ist oben!» alle atmeten erleichtert
auf.
Der
Verunglückte wurde wieder ausgeknöpft.
«Wir müssen ihn
ganz flach tragen. Am besten
macht man das zu
dritt.»
Sie knieten sich neben Ewald nieder; sechs starke
Arme schoben sich unter seinen Leib und hoben ihn.
gleichmäßig in die Höhe. Die Kletterei bot sichtlich
Schwierigkeiten. Einmal mußte der junge
Hilfsführer über einen größeren Steinblock gehoben.
werden. Keiner sprach ein Wort. Nur Bulle kommandierte
knapp und klar den gefährlichen Zug.
«So, jetzt
haben wir das Schlimmste geschafft.» Erleichtert
legten die Träger den Buben auf den moosigen
Waldboden, als sie das Ende der Felsbrüche
erreicht
hatten. Hier wurden sie von Göpfs Gruppe
empfangen.
Die Jungwächter wollten nun alle irgend ein Trostwort
für ihren Kameraden haben, aber meist blieb es bei einem stummen
Zunicken, denn sie spürten
noch allzu deutlich den Schrecken im Knochenmark.
«Wo habt ihr die Bahre?»
«Die hat Christian. Er ist unten beim Weg.»
«Also, dann gehen wir weiter.»
Christian stand breitbeinig hinter seiner
dürftig fabrizierten Bahre. Zwei Tragstangen, verbunden
mit Querhölzern,
und die Zeltplane darübergespannt,
dienten als Notbehelf. Als Kopfkissen hatte
Ueli sein Hemd gestiftet.
«Ho ruck.» Die Bahre ging hoch.
Ja. Ewald hatte seinen Schutzengel bei sich gehabt. Wäre der Unfall
nur einige Meter weiter vorne passiert,
hätte es keiner Rettung mehr bedurft. Dann hätte die fröhliche Jagd
nach dem ,Goldenen Eber'
so geendet wie der Tag, der über dem schweigenden
Marsch, über den grünen Hemden und den
blonden und braunen Köpfen, in blutrote Farbe getaucht, zur Neige
ging.
7. Kapitel
«Mir ist bei der ganzen Sache einfach nicht recht wohl», erklärte
Fredi und nagte nervös an seinen
Fingernägeln. «Irgendwo ist der Wurm drin. An
der Meldung ist etwas faul.»
«Das habe ich ja von Anfang an gesagt, aber
man
will
eben nicht auf einen hören», maulte Christian,
dem es gar
nicht paßte, daß der heutige Abend verteufelt
war. «Bulle hat uns ausdrücklich befohlen,
innerhalb des
eingezirkelten Bereiches zu bleiben.»
«Wenn er aber selbst einen Punkt angibt, der nicht
mehr im Kampfgebiet liegt? Was können wir denn
dafür?» entschuldigte Göpf seinen Freund.
«Außerdem
bildet die Hornfluh genau die Grenze.»
«Trotzdem glaube ich niemals, daß Bulle solche
Orte auswählt. überhaupt, haben wir eine weitere Spur nach dem
,Goldenen Eber' gefunden?»
«Wir hätten noch weiterklettern müssen. Aber ich
hatte wirklich keine Lust mehr dazu. Und wie ich
schon vorhin gesagt habe, glaube ich auch nicht
mehr ganz an die Echtheit der Depesche. Oder
dann hat sich Bulle verrechnet.
Im Selbtritt marschierten die drei Gruppenführer
dem Neuhof zu. Drüben, auf der Schaubenweid,
flammte
bereits ein frisches Lagerfeuer auf und zerfetzte
knackend die dürren Holzprügel, die eine
geschickte Hand
kunstgerecht zur Pyramide aufgetürmt
hatte. Das Feuer sollte Zeuge einer ernsten
Aussprache
werden, die Bulle mit seinen Gruppenführern am Abend dieses
unglücklichen Tages halten wollte.
Der Hof hob sich schon dunkel von den wechselnden
Grautönen zwischen Wiese und Himmel ab.
Schwarz und düster stand der Wald vor ihnen.
Das herrliche Gelände hatte die Farbenpracht des
Tages verloren; nur drüben über dem Belchen
schimmerte noch ein schmaler gelblichroter Streifen.
Die Nacht trat ihre Wache an.
«Bulle wird schon auf uns warten. Wir müssen uns
beeilen.»
«Vielleicht sind es auch die Bären.»
«Ob die Meldung nicht am Ende von denen in
unsere Hände gespielt wurde?»
«Das glaube ich nicht.»
«Warum nicht? Es muß doch für die ein Schleck
sein, unser Lager zu bestürmen, derweil wir dort
in den Felsen herumknorzen.»
«Aber das traue ich Res nun doch nicht zu. Das
wäre zu verantwortungslos. Nein, mir scheint ganz
einfach, daß ein Rechnungsfehler vorliegt.»
Nun hatten sie den Waldrand erreicht und schritten
dem grasigen Weg entlang um das Holz herum.
Der Wind orgelte durch die Laubkronen und schlug
warm in die jungen Gesichter. Eines der seltenen
Bächlein plätscherte leise durch das Moos und
drängte dem Tal zu. Wie flüssiges Silber glitzerte
es im Widerschein des Feuers, das draußen auf der
Wiese die Dunkelheit zu durchdringen suchte.
«Das ist doch ein Mordspech», grüßte Fredi. «Seid ihr schon lange
da?»
«Schicksal», machte Res, ohne sich vom Boden zu
erheben, denn er hatte sich eben gemütlich ans Feuer
gesetzt. «Wir können Gott danken, daß weiter
nichts passiert ist.»
Auch Marcel und Berni erhoben ihre Hand zum
Gruß. Man spürte deutlich, daß sie sich noch nicht ganz vom
Schrecken erholt hatten. Alle sechs Gesichter,
die jetzt hell im flackernden Feuerschein aufleuchteten, zeichnete
tiefer Ernst. Jeder wußte,
daß irgendwo ein
Versagen vorlag, und sie kannten
ihren Scharführer gut genug, um zu wissen,
daß er die Sache bis aufs Blut untersuchen
würde.
«Ist Bulle noch nicht aufgetaucht?»
«Er muß bald da sein. Vor fünf Minuten sahen wir
die Scheinwerfer des Wagens beim Lagerhaus drüben.
Da wird er mit dem Präses vom Spital zurückgekommen
sein.»
Marcel warf einen Armvoll spröden Reisig in
die
Flammen. Prasselnd stiegen die Feuerzungen empor,
und kleine
Fünklein wirbelten lustig durch die
Luft.
«Du sag mal», platzte Berni heraus, «wie kommt
ihr überhaupt zur Hornfluh hinauf?»
«Durch eine Meldung, die uns Bulle übermittelt
hat.»
«War nicht Urs euer Meldeläufer?»
«Gewiß. Er hat sie uns gebracht.»
«Das kann nicht stimmen. Die Meldung führte zum
Spittelberg.»
«Was? Der liegt ja gleich hinter unserem Lager.
Wie wollt ihr das wissen?»
«Nun, da der Unfall passiert und das Geländespiel
abgebrochen ist, müssen wir es fast sagen.
Euere Meldung haben wir. Die hat Rolf euerem Kurier
weggenommen.
Hat er nichts davon erzählt?»
«Nein — das heißt, von Rolf hat er berichtet. Der
soll aber den Zettel wieder verloren haben und Urs
nahm ihn zu sich. Aber da müßte doch der Teufel
dahinterstecken. Wie kann plötzlich eine
andere
Meldung vorliegen, während ihr die echte habt?»
Fredis Blick traf Christian. Dieser verzog
seinen
Mund, um anzudeuten: Meine Vermutung stimmt
doch.
Eine Gestalt löste sich aus dem Hintergrund
und
näherte sich mit schnellen Schritten. Das Feuer ließ
mit zuckenden
Bewegungen das hellblaue Hemd
und den
blonden Stern aufleuchten und zeichnete
den Schatten des
Mannes gespenstisch ans Gebüsch.
«N' Abend Bulle. Wie geht es Ewald?»
«Es handelt sich tatsächlich um eine Unterschenkelfraktur.»
Der Scharführer setzte sich in den Kreis.
«Allerdings können wir von Glück reden. Der Arzt
hält es nicht für schlimm. So ein junger Knochen wächst leicht und
gut wieder zusammen. Er wird
vorläufig im Spital bleiben müssen, bekommt aber
bald einen Gehgips. Vielleicht kann er dann noch
ein wenig bei uns herumhumpeln.»
«Sind die Eltern informiert?»
«Ich habe mit ihnen telefoniert. Morgen schauen sie
vorbei. überhaupt, Fredi, was hattet ihr dort
oben
zu
suchen?»
«Den ,Goldenen Eber', wie du uns angegeben hast.»
«Nie im Leben. Die Koordinaten ergaben einen
Punkt am Spittelhof.»
«Jetzt komme ich wirklich nicht mehr mit», knurrte
Fredi und zog den zerknitterten Zettel aus der
Tasche. «Irgend jemand muß uns da hineingelegt
haben, denn Urs brachte uns diese Meldung.»
Bulle überflog das Blatt und schüttelte den
Kopf:
«Wie kommt der dazu? Von mir jedenfalls stammt die Depesche nicht.
Wo ist denn die rechte geblieben?»
«Die haben die Bären.»
«Ja, hier ist sie.» Marcel streckte sie Bulle hin.
«Unser Rolf hat sie auf dem Weg zum Lager erobert.»
«Und dabei dem Urs wahrscheinlich die Falschmeldung
zugeschoben», funkte Christian, noch
immer muff, dazwischen.
«Traust du uns das wirklich zu? Das wäre doch unfair im Quadrat. Mit
solchen Mitteln arbeiten
wir nicht.»
«Warum habt ihr denn so wunderbar unsere Abwesenheit
ausgenützt, um das Lager zu durchwühlen?»
«Keiner von uns wußte, wo ihr euch
herumtriebt.
Wir schauten
uns nur den Spittelhof von der Nähe
an. Nachher
ließen wir dann eure Wache mitlaufen,
aber ohne zu ahnen, daß ihr zur gleichen Zeit die Hornfluh
überquert. Ihr beschuldigt uns wirklich zu Unrecht.»
Bulle öffnete das Taschenmesser und reinigte mit
der kleinen Klinge seine Fingernägel, die noch die
Spuren der Rettungsaktion trugen. Er schwieg.
Irgend etwas stimmte hier nicht, dessen war er sich
klar. Fest stand, daß zwei Depeschen vorlagen, von
denen eine falsch war. Die mußte jemand ohne sein
Wissen, aber unter seinem Namen, ins Spiel eingeschmuggelt
haben. Und das hatte offensichtlich
zum Unfall geführt und hätte sogar noch schlimmeres
Unheil über die Schar bringen können.
Der
Scharführer sah sich damit vor ein neues Problem
gestellt. Er durfte den Löwen nämlich keinen Vorwurf
über die Kletterei machen, wenn diese im
guten Glauben der Meldung gefolgt waren. Daß sie
nicht von sich aus eine Falschmeldung aufgesetzt
hatten, schien von vorn herein klar zu sein. Es
konnten eigentlich nur die Gegner ein
wirkliches
Interesse daran
gehabt haben, den Feind möglichst
weit weg zu
wissen. An eine Außenperson war
nicht
zu denken.
«Fredi, Berni und Marcel, es geht hier jetzt um
mehr als nur um ein Spiel. Seid ehrlich. Habt ihr
wirklich nichts mit der gefälschten Botschaft zu
tun?»
«Bestimmt nicht.»
«Da legen wir die Hand ins Feuer.»
«Darfst dich darauf verlassen.»
Bulle klappte das Messer zu:
«Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als Rolf und
Urs herzuholen. Anders kommen wir nicht weiter.»
Marcel stand auf:
«Ich werde sie rufen. Sie sind beide bei uns.»
«Wieso beide bei euch?»
«Urs war diese besagte Wache, die wir geklaut
haben.»
Zwei-, dreimal noch tauchten die weißen Sohlen
von Marcels Turnschuhen im Dunkeln auf und
verschwanden dann im Wald.
«Muß das wirklich so genau untersucht werden?
Würde es nicht genügen, die Tatsache einfach hinzunehmen,
daß der Aufstieg auf Irrtum beruhte?» erkundigte sich Fredi, dem es
keineswegs recht war,
daß jetzt eine Zwistigkeit in die Führerrunde getreten war.
«Erstens will die Versicherung genaue Daten
und
keine Romane hören. Dann sind wir den Eltern von
Ewald
Rechenschaft schuldig und außerdem möchte
ich keine
verschwommenen Anschuldigungen und
Gerüchte der
Willkür einer Vermutung überlassen.»
Über dem Hauenstein zogen sich schwarze Wolkenschwaden
zusammen und raubten der Gegend die
letzte schwache Helligkeit. In der
Ferne
rollten
dumpf langgezogene Donnerschläge über die Hügel
und Täler des Jura.
«Heute Nacht wird es noch krachen», prophezeite
Berni. Die andern aber antworteten nicht.
Urs wußte sofort, was es geschellt hatte. Müde und
gleichgültig trottete er zwischen Marcel und Rolf
einher. Jetzt mußte er Rede und Antwort stehen
für seine blödsinnige Idee. Obwohl er zu allem entschlossen war und
Rolf den eigenen Überführungsbeweis
tatsächlich in der Tasche trug, spürte Urs
unheimliche Angst. In der Bauchgegend fühlte er
eine dumpfe Leere. Er sagte kein Wort.
Rolf ballte die Fäuste in den Hosensäcken. Er bebte vor Zorn. Dem
würde er es zeigen. Hatte
ihm doch Urs heute abend angedroht, er wisse einen
einwandfreien Beweis für seine Schuld. Vergebens
suchte Marcel einen Ton aus den beiden herauszupressen.
Nur ein ungleichmäßiger Dreitakt hallte von der holprigen Straße in
die Nacht hinaus.
«So, jetzt setzt ihr euch einmal zu mir her»,
begrüßte
Bulle die beiden niedergeschlagenen Gestalten
und hielt ihnen auch schon einen weißen Zettel
unter die Nase.
«Rolf, kennst du diese Meldung?»
«Ja», gab der Bub finster und knapp zur Antwort.
«Und du Urs?»
«Auch.» In der Dunkelheit konnte man nicht erkennen,
daß sich sein Gesicht rot verfärbte. «Zum
Donner», schoß es ihm durch den Kopf, «jetzt habe
ich schon wieder einen Fehler gemacht.» Sofort
schalteten seine Gehirnzellen: «Halt einmal. Ich
könnte mich
getäuscht haben. Darf ich das Papier
näher ansehen? —
Nein, das ist gar nicht die Depesche.
Die hatte ja unten eine aufgedruckte Nummer.»
«Stimmt genau, war es diese da?»
Urs drehte die falsche Meldung in den Fingern:
«Ja, jaja, das ist sie.»
Der Scharführer blickte nun den beiden Jungwächtern
scharf in die Augen.
«Jeder von euch brachte den Zettel, den er jetzt in der Hand hält,
in sein Lager. Oder?»
«Ja.»
«Lest einmal laut vor, was oben drauf steht.»
Sie taten es nacheinander.
«Nun? Beide Depeschen sind demnach von mir an
Fredi gerichtet. Eine davon habe ich Urs mitgegeben.
Woher aber kommt die andere, und warum hat
auch Rolf eine?»
«Weil ich sie erobert habe.»
«Wie aber kann dann Urs immer noch eine Meldung
haben?»
«Rolf hat sie wieder verloren.»
«Das stimmt ja gar nicht.»
«So? Bist du nicht über den großen Stein gestolpert
im Wald drüben?»
«Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.»
«Aber ich. Dabei ist sie dir davongeflattert», log
Urs.
«Hast du leicht Schlagseite? Ich brachte sie doch
meinen Führern. Oder nicht, Res?»
«Da ist jede Antwort überflüssig.»
Bulle fuhr dazwischen:
«Nein, nein, so geht das nicht. Anscheinend
wurde
bei
jenem Kampf eine falsche Meldung geboren,
denn von da an
geisterten zwei solche Zettel in der
Gegend herum.
Daß hier aber etwas faul ist, dürfte
allen klar sein.
Wißt ihr wenigstens, welche Meldung
falsch ist?»
«Meine.» über das voreilige Wort ärgerte sich
Urs
von
neuem. Schon wieder eine Dummheit.
«Warum weißt du
das?»
«Weil...» Urs stockte. «Weil... weil die Koordinaten
uns auf die Hornfluh wiesen, was eben ein
Fehler war.» Die Situation war gerettet.
«Was meinst du, Rolf?»
«Meine muß echt sein, denn wir haben die wirkliche
Spur gefunden.»
«Gut.» Bulle machte ein feierliches Gesicht. «Schließen
wir einmal die Möglichkeit aus, daß eine Drittperson
die Hand im Spiel hatte. Dann muß einer
von euch beiden diese Falschmeldung zumindest
eingeschmuggelt, eventuell aber sogar geschrieben
haben. Wer war
es?»
«Rolf natürlich...»
«Pah! Die hat er selber fabriziert.»
«Meinst du ich spinne und schreibe selbst eine verkehrte
Botschaft?»
«Aber ich habe sie auch nicht gemacht.»
Da schaltete sich Res ein:
«Wozu sollte Rolf auf so komplizierte Art und
Weise die Meldung erobern. Es genügte ihm doch
vollauf, daß er die echte hatte.»
«Freilich. Hätten wir aber gewußt, daß unsere Depesche
in eueren Händen lag, wäre es euch nicht
geglückt, in den
Spittelberg zu gelangen, denn wir
hätten
versucht, den Wisch zurückzuerobern», entgegnete
Fredi, um sich und Urs zu verteidigen. «So
aber bedeutete es
für euch eine Kleinigkeit, das
Kroki und unser
Lager aufzusuchen und uns dabei
recht
weit weg zu wissen.»
«Ich habe dir schon einmal gesagt, daß wir damit
nichts zu tun haben», zischte Berni.
«Möglicherweise aber hat Rolf in dem Gedanken
gehandelt», vermutete Göpf. «Außerdem besaß Urs
keine Karte, um die Koordinaten auszu- messen.»
«Rolf, hast du eine Karte dabei gehabt?»
«Ja.»
Der Bub war ganz durcheinander. Wie konnte so
etwas
nur möglich sein? Er wurde für eine Sache
beschuldigt,
von der er nicht einmal wußte, daß sie
geschehen war.
Hatte er es nicht nur gut gemeint?
Krampfhaft
suchte er nach einer Antwort.
«Überhaupt, warum ist Urs als Wache zurückgeblieben?
Er wußte garantiert, daß seine Leute klettern
mußten und wollte dabei selber auf die faule Haut liegen.»
«Ist ja gar nicht wahr.» Urs versuchte kühl zu
bleiben. «Ich hab sogar mitgehen wollen.»
«Ja, das stimmt. Ich habe aber gedacht, nach dem
Meldelauf und seinem Kampf sei Urs froh, ausruhen
zu können», versicherte Fredi.
Bulles Gesichtsmuskeln spielten zuckend auf und
nieder. «Da ist guter Rat teuer. Seid doch um
alles in der
Welt vernünftig.
So tragisch ist doch die ganze
Sache
nicht. Schlimm wäre nur, wenn einer lügte.
Wer es getan
hat, soll es jetzt zugeben.»
«Wie konnte ich überhaupt wissen, daß Urs eine
Meldung
bei sich trug?» versuchte Rolf sich zu verteidigen.
«Das ist eigentlich wahr. Es handelte sich ja um eine
Geheimmeldung», unterstrich Berni.
«Was
sagst du dazu, Urs?»
«Ich habe mir erlaubt, die Depesche zu öffnen. Ich
glaubte mich natürlich in Sicherheit. — Da hörte
ich neben mir ein Knacken und steckte den Zettel wieder ein. Kurz
darauf wurde ich von Rolf überfallen.
Er muß mich demnach bespitzelt haben.»
«Ich kann nicht zugeben, was ich nicht getan habe»,
murrte Rolf.
«Dann soll etwa ich den Wisch geschrieben haben?»
Urs stellte sich recht blöd.
«Natürlich.»
«Du lügst.»
«Natürlich hast du ihn geschrieben.»
Rolf schoß
hoch. «Natürlich. Du ich geb dir...» Er stürzte sich
auf Urs, aber eine starke Hand hielt ihn zurück.
«So setz dich wieder hin. Das Faustrecht ist bei uns
längst abgeschafft.»
Urs schlug unschuldig die Augendeckel nieder,
während Rolf sichtbar kochte. Für Bulle bedeutete dies: Rolf macht
sich sehr verdächtig.
«Hör einmal, Rolf. So geht das
selbstverständlich
nicht. Es wird
dir auch weiter gar nichts geschehen.
Ich möchte nur, daß du mich nicht anlügst. Gib's doch zu.»
«Aber ich war es nicht. Ich bin einfach kein Lügner.»
Der Scharführer schüttelte traurig den Kopf. über
dem Ifleter Berg zuckte ein weitverästelter Blitz zur
Erde und ein krachender Donnerschlag zerriß die
Stille. Für eine Sekunde flammten die Gesichter im
bläulichen Licht auf. Dann trat wieder dunkle
Nacht ein. Tiefer Ernst lag über dem züngelnden
Lagerfeuer. Hier stand Aussage gegen Aussage. Hier
log einer, und Bulle wußte, daß es jetzt kein Zurück mehr gab. Die
Wahrheit mußte heraus. Er hatte gehofft, auf die letzte Probe
verzichten zu
dürfen, aber es gab keine andere Möglichkeit.
Stumm betrachtete er die beiden Zettel. Sie glichen
einander. Der falsche mußte aus einem Taschenkalender
stammen, das bewies der Goldschnitt und die Nummer 23 am unteren
Rand.
Der Scharführer kramte in seiner Tasche, so als
suchte er etwas. «Ich muß mir einmal alles aufschreiben. Hat mir
einer einen Notizblock?»
Res öffnete seine Mappe. «Wart ich...» Aber Bulle stieß ihn ins
Schienbein. Er verstand. Ein kurzer
Moment des Schweigens. Rolf zögerte. Auch er
hatte vorhin die Nummer gesehen. Sollte der Zettel
etwa aus seinem Kalender...? Ach nein, das war
ein Ding der Unmöglichkeit. Mutig zog er das rote
Büchlein aus der Hintertasche. Aber er hatte bereits zu lange
gezaudert.
«Danke.»
Bulle suchte scheinbar eine leere Seite.
Er stockte: «Aha. Schaut her. Nummer
23
fehlt.»
«Das gibt's nicht.» Rolf flitzte wieder hoch.
«Da,
habe ich wahrscheinlich einmal ein Blatt herausgerissen.»
Sein Gesicht hatte jede Farbe verloren. Urs
triumphierte heimlich.
«Aber die Abrißstellen passen genau zusammen.»
Rolf gab keine Antwort mehr. Er war wie geohrfeigt.
Wie konnte so etwas nur möglich sein? Seine
Augen liefen
wäßrig an, fiebernd ließ er den Kopf
hängen und wie
aus weiter Ferne hörte er:
«Das
hätte ich nicht erwartet von dir.»
Der Bub starrte in die Glut. Wie das Holzscheit,
das brennend in sich hineinsank, so drohte alles um
ihn herum zusammenzubrechen. Er konnte es einfach
nicht fassen.
Nicht einmal der Flammenstrahl aus den Wolken
und sein
nachhallendes Krachen vermochten ihn in
diese Welt
zurückzurufen.
«Wir müssen aufhören.» Bulle erhob sich mühsam.
«Gleich wird es zu regnen anfangen. Schaut, daß ihr so schnell wie
möglich euere Lager aufsucht.
Ob wir morgen weiterkämpfen, weiß ich noch
nicht. Als Zeichen werden wir die Banner hochziehen.
Andernfalls gebe ich Weisungen durch Meldeläufer, was weiterhin
geschehen soll. Was ich noch
sagen wollte: Res, habt ihr euer Kroki gefunden?»
«Ja, es klebte an der Hornhütte.»
«Dann gebt den Löwen das ihrige zurück. Es nützt euch doch nichts.»
«Dürfen wir Urs wieder mitnehmen?»
«Der ist uns schon eine Morseflagge wert.»
«Da. — Dann gute Nacht.»
Das Unwetter nahte mit Riesenschritten.
Beinahe
jede Minute tauchte die Gegend lärmend aus ihrer
Dunkelheit auf.
Bulle schürte nachdenklich mit
dem Fuß die
Glut zusammen und erstickte sie mit
Erde. Er war traurig. Gerade auf Rolf hatte er soviel
gesetzt. Bis jetzt wurde er von ihm noch nie enttäuscht.
Dabei gehörte Rolf zu seinen großen Hoffnungen.
In einem Jahr würde er Hilfsführer und
bald darnach
Gruppenführer sein. Das Zeug dazu
hätte er. Zwar
zählte er nicht zu den kameradschaftlichsten
Jungwächtern der Schar, aber gerade
die Führung
einer Gruppe konnte ihn den echten
Gemeinschaftssinn lehren.
Der Wind zerzauste Bulles Haar. Schon fielen große
Tropfen auf das blaue Hemd. Der Scharführer
eilte dem Lagerhaus zu. Dann öffnete der
Himmel
alle Schleusen und schlug mit dröhnenden, feurigen
Hieben die Juraerde, die nun vollends aus
ihrem frühen
Schlaf gerissen wurde.
8. Kapitel
Dünne Nebelschwaden flohen dampfend über die
taunassen Wiesen dem Homberg zu. Die frühen
Sonnenstrahlen trockneten die Perlen, die von den
Sträuchern tropften, und guckten neugierig zwischen
den Ästen durch auf die Buben, die wortkarg
an ihren
Butterbroten kauten.
Wie Kannibale hockten sie im Kreis um's Feuer
und schöpften becherweise heißen Kakao aus dem
rußgeschwärzten Kessel, der über den Flammen
baumelte. Hans schmierte mit seinem Dolch tüchtig Butter auf die
Schnitte, und an seinen Ohren
klebte bereits
eine Portion Konfitüre.
So herrlich das Frühstück schmeckte, eine
fröhliche
Stimmung, wie sie sonst üblich war, wollte nicht
aufkommen. Wie
ein Alpdruck lastete über der
Gruppe die
Erinnerung an den gestrigen Unfall und vor allem an das abgebrochene
Spiel. Bis jetzt hatte
noch kein Banner
vom Fahnenmast aus die Wiederaufnahme
des Kampfes angekündigt.
«Mir stinkt's», maulte Max, noch bevor er das
Stück Brot ganz hinuntergeschluckt hatte. «Warum
müssen diese Löwen so einfältige Klettereien machen. Wenn Ewald
nicht abgestürzt wäre, könnten wir jetzt nach dem ,Goldenen Eber'
suchen. Aber
so...»
«Klar. Das ganze Geländespiel ist verpfuscht.
So
etwas
Blödes.»
«Überhaupt, was hindert uns denn am Weitermachen?
Ewald ist ja gerettet.»
«Schuld sind ganz einfach die Löwen.»
Res blickte finster drein. Wortlos kaute er an seinem
Butterbrot. Der Gedanke an das nächtliche Lagerfeuer
quälte ihn. Jetzt sollten sie die Schuldigen sein, und obendrein
hatte ihn Rolf schwer enttäuscht.
Irgendwie mußte er den Buben jetzt klaren
Wein einschenken, er mußte ihnen sagen, daß
nicht die Löwen, sondern ihr eigener Spion den
Beinbruch auf dem Gewissen hatte. Und doch
wollte er Rolf bei den Kameraden nicht unmöglich
machen.
«Ihr dürft nicht so hart urteilen. Die Löwen können
nichts dafür. Gewiß, mit etwas mehr Vorsicht
wäre der Unfall nicht passiert.»
«Aber die haben dort oben gar nichts zu suchen
gehabt.»
«Doch. Eben doch. Sie haben einen Punkt gesucht,
den wir ihnen angaben.»
«Wieso? Das verstehe ich nicht.»
«Wir haben damit doch nichts zu tun?»
«Leider doch. Ihr wißt, daß Rolf uns eine Meldung
,für die Löwen' mitgebracht hat. Um die Gegner,
und vor allem Urs zu täuschen, hat er ihm eine
falsche Meldung zugeschoben und dummerweise
einen so
unklugen Ort angegeben.»
Dreißig Blicke trafen Rolf. Er saß etwas beiseite
und hatte bis jetzt noch kein einziges Wort gesprochen.
Verlegen tastete er nach seinem Becher und trank einen kräftigen
Schluck. Dann biß er ins Brot
und fixierte starrend irgend etwas Unbestimmtes
weit im Wald drin. Seine Kameraden sah er nicht.
«Was? Du hast die dort hinauf gejagt?»
«Das finde ich aber toll.»
«Nein, gar nicht. Wenn dabei einer verunglückt.»
«Deshalb haben wir unser Geländespiel gesehen,
das sag ich euch.»
«Du hättest auch nicht so einen stupiden Punkt angeben
sollen.»
Rolf starrte und kaute.
«He. Spielst jetzt die beleidigte Leberwurst. Was?»
«Lassen wir ihn doch in Ruhe, wenn er nicht reden
will.»
Rolf sprang auf:
«Wenn ihr euern Schnabel nicht bald zuhaltet,
gehe ich nach Hause.»
«Heh-heh. Nur nicht so energisch. Man wird auch noch etwas sagen
dürfen.»
Res wurde die Sache zu bunt. Auf keinen Fall
durfte jetzt ein Streit unter den Buben aufkommen.
Das würde gerade noch fehlen: Jungwächter,
die sich gegenseitig beschimpfen.
«Schluß jetzt. Ich höre kein Wort mehr darüber.
Die Sache ist geschehen, daran gibt es nichts
mehr
zu
ändern. Außerdem hat Rolf das gar nicht beabsichtigt, sondern wollte
uns einen Dienst erweisen. Packt das Frühstückszeug zusammen. Jeder
wäscht
sein Geschirr und Besteck. Wenn binnen einer Viertelstunde
keine Meldung vom Aussichtsposten
kommt, rücken
wir zu normalen Gruppenübungen
aus.»
«Buh.»
«So ein Mist.»
«Nur wegen dem Kerl da.»
Die Gruppenführer zogen sich ins Kommandozelt
zurück. Es mußte etwas getan werden, sonst würde
die Langeweile ausbrechen. Dies aber ist eine
schlimme Krankheit. Marcel ließ sich auf die Wolldecke
fallen.
«So, und jetzt sagt mir, warum nicht mehr weitergekämpft
wird. Wir können die Sache doch nicht einfach
einschlafen lassen.»
«Bulle will zuerst genauen Bescheid über Ewalds Zustand haben. Und
dann prüft er mit dem Präses
alle Möglichkeiten, die weitere Unfälle verursachen
könnten. Besteht keine Gefahr, gibt er uns das Zeichen
zum Weitermachen.»
Berni schlug die Beine übereinander.
«Seid einmal ganz ehrlich. Glaubt ihr wirklich,
daß Rolf schuld ist?»
«Klar. Du hast doch gestern gesehen.;
«Ich bin trotzdem nicht davon überzeugt.»
«Aber die Zornausbrüche beweisen es doch auch.»
«Eben nicht. Es ist zwar ein grober Fehler von Rolf,
daß er gleich hochgeht. Aber er ist einer meiner
besten Jungwächter.»
«Auch denen passieren Fehler.»
«Sicher, Fehler kommen vor. Aber Rolf lügt nicht.
Die ganze Angelegenheit dreht sich mehr um die
Verleumdung als um die falsche Depesche. Jedenfalls
werde ich heute Abend mit Bulle sprechen.»
«Tu das, wenn du dir etwas davon versprichst.
Aber Urs wird doch unmöglich selbst eine falsche
Meldung geschrieben haben. Das wäre ja glatter Wahnsinn.»
«Außerdem trug Rolf den Kalender in seinem Hosensack.
Der Zettel stammte von ihm. Das ist eindeutig.»
«Das ist der Fallstrick. Das verstehe ich eben nicht.
Trotzdem glaube ich an Rolf.»
«Warum aber muß es denn schon wieder Urs sein?
Trommelt man nicht schon genug auf dem armen
Kerl
herum, nur weil er sich nicht wehren kann?»
«Macht, was ihr wollt. Für mich ist Rolf kein Lügner,
und ich werde ihm helfen.» Berni stieg entschlossen
über Marcel hinweg und trat ins Freie.
«He, Berni, wart noch. Wir müssen einen Plan fassen,
um die Buben zu beschäftigen.»
«Wir bauen eine Seilbrücke, wenn genügend Stricke
da sind», erklärte Marcel.
«Ich gehe morsen. Was machst du, Berni?»
«Ich dachte an einen Orientierungslauf.
Vielleicht
aber sollten wir
doch noch etwas abwarten, wenigstens nochmals eine Viertelstunde,
ihr wißt, Bulle
überlegt
langsam, aber gut.»
«Dann singen wir ein paar Lieder. Spielst du
Gitarre, Marcel?»
Res pfiff zweimal durch die Finger. Die Jungwächter
lagerten sich um Marcel herum, die einen
auf dem Bauch,
die andern Rücken an Rücken. Der
Führer schlug
die Saiten an.
«Wir ziehen über die Straßen, in gleichem festem
Tritt...»
«Aus grauer Städte Mauern ziehn wir in Wald und
Feld... Der Wald ist unsere Liebe, der Himmel
unser Zelt...» Wie gut paßte das Lied zu den Stadtbuben,
die jetzt in der freien Natur draußen
saßen.
Helle und brummige Stimmen hallten in den
Morgen hinaus, egal, ob manchmal die obersten
Töne etwas kratzten. Beim Singen vergißt man so
leicht den Kummer und die Zeit und sogar den
noch nicht gefundenen ,Goldenen Eber'. Allerdings
war hier Friedel etwas anderer Meinung. In Zivil
spielte er Klavier und sein feines Gehör ärgerte
sich bei der leisesten Dissonanz. Er stieß seinen
Nachbarn Siegfried mit dem Ellbogen an.
«Sing nicht so falsch, sonst kommen mir noch im Hosensack die
Zündhölzer an.»
Sigi aber jubilierte aus voller Kehle weiter und
machte sich kein Hehl daraus. Aus Friedels Hosensack stieg trotzdem
kein Rauch auf.
«Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen… »
Rolf hielt sich verstohlen am Rand der Gruppe.
Er ließ den Kopf traurig zwischen den Knien
hängen
und spielte gleichgültig mit einem Tannzapfen.
Wozu sollte er
singen? Für ihn hatte das keinen
Reiz mehr. Er
fühlte sich verlassen, ausgestoßen,
zum Lügner und
Spielverderber gestempelt. Einige
hatten zwar
vorhin für ihn Partei ergriffen, aber
jetzt beachtete
ihn keiner mehr.
«Was hab' ich hier eigentlich noch verloren? Dieser
Urs, ich weiß nicht, wie es mir vorkommt, aber ich
möchte ihn hassen. Bin ich überhaupt noch Jungwächter?
Ein Lügner bin ich. Soweit habe ich es gebracht.»
Er hörte die singende Gruppe kaum. Mit den Fingernägeln
zupfte er eine Schuppe nach der andern
aus dem
Tannzapfen. Für ihn schien eine Welt zusammengebrochen
zu sein. Am schlimmsten kam
ihm vor, daß
Bulle jetzt böse auf ihn war. Wenn er doch nur etwas beweisen
könnte.
Gewiß, Rolf war etwas ehrgeizig. Er galt gerne etwas, aber es fiel
ihm auch nicht schwer. Soviel
konnte er, überall stand er als Meister oder triumphierte
als Sieger. Aber diesmal war es kein gekränkter
Stolz, diesmal war es ein Unrecht.
«Sing doch auch mit.» Eugen warf ihm ein Liederbüchlein
hin.
Rolf nahm es in die Hand und blätterte darin. Er
schöpfte tief Atem und schaute auf. Dabei traf sein
scheuer Blick Berni. Rolf glaubte, sein Führer hätte
ihm zugenickt. Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder.
«Ach was, das bilde ich mir nur ein. Keiner glaubt.
Nicht einmal Berni.» Der Bub wischte heimlich
eine Träne aus dem Augenwinkel, schämte sich aber
darüber. «Reiß dich zusammen», sagte er zu sich selbst.
«Im Frühtau zu Berge, wir gehn fallera ...», dröhnte es über den
Platz. Rolf lispelte lautlos mit. Oft verzog
er seine Lippen mit einer schmerzhaften Bewegung.
Mit weitaufgerissenen Augen starrte er ins
Büchlein. Er
mochte nicht singen. Er konnte es einfach
nicht fassen.
«Hallo Res! Drüben hängt eine Fahne! Wir können
weitermachen!» schreit plötzlich Alfons, vom
Aussichtsposten her eilend.
«Prima!»
«Auf geht's!»
«Los!»
Die Liederbüchlein fliegen in hohem Bogen ins Zelt.
Die Buben springen hoch, tanzen, plärren, werfen
die Arme in die Luft.
«So beruhigt euch», lacht Res. «Vorerst wissen
wir
noch
gar nicht, wie es weitergehen soll. Ist sonst
nichts zu
bemerken? Alfons?»
«Doch, seit fünf Minuten morst Bulle mit einem
Spiegel, Thomas schreibt auf. Aber er funkt immer
dasselbe.»
«Was denn?»
«Da, ich habe es aufgeschrieben. JWT 24 39 3.»
«Ist das alles?»
«Ja, immer wiederholt.»
«Was soll das nur heißen?»
« JWT bedeutet sicher Jungwächter.»
«Das ist möglich.»
«Sicher sogar.»
«Und die Zahlen?»
«Vielleicht: 24 Jungwächter sollen um... Nein, das
geht nicht.»
«Koordinaten können es nicht sein.»
Die Buben denken nach. Man hört beinahe die Gehirne
arbeiten. Was sollen diese seltsamen Zahlen bedeuten? Da platzt
Marcel heraus:
«Mit Jungwächter' könnte auch unser Handbüchlein
gemeint sein.»
«Klar», jubelt Berni. «,Jungwächter', Seite 24, Zeile
39, Wort 3. Schaut nach.»
Werner hat sein grünes Büchlein bereits in Händen.
«Moment. Da, Zeile 39 — das dritte Wort: Flammen.»
«Flammen?»
«Was soll das?»
«Lies den ganzen Satz.»
«Teile der Tuileriengebäude stehen in Flammen.»
«Weiter.»
«600 Schweizer haben für ihren Treueschwur das
Leben gelassen.»
«Komisch.»
«Hängt das etwa mit der Französischen Revolution
zusammen?»
«Mit der Schweizergarde, die in Paris zugrunde ging?»
«Der Satz ist aus jenem Artikel. Aber was mag
es
mit
dem Geländespiel zu tun haben?»
«Flammen — Flammen?»
Res zieht das an der Hornhütte gefundene Kroki
aus der Tasche. Es weist genau die gleichen, seltsamen
Zeichen auf, wie der Plan, den sie am Spittelberg
gefunden haben: eine blaue Wellenlinie,
eine Brücke und ein Haus.
«Ob das etwa damit zusammenhängt?»
Er hält es ans Sonnenlicht, um besser sehen zu
können. Die Buben strecken die Köpfe darüber. Dabei
bemerkt Eugen, daß das Blatt überall ganz feine
Unebenheiten zeigt. Er reißt es Res aus der Hand.
«Halt, ich hab's. Das ist mit Geheimtinte beschrieben.
Wenn man mit Milch schreibt, wird die Schrift
unsichtbar. Dann muß man das Papier nur über
eine Flamme halten und das Geschriebene tritt heraus.»
«Dann verbrennt der ganze Fackel, und alles ist futsch.»
«Man muß eben vorsichtig sein. Probiert es
aus.»
Res
hält das Kroki behutsam übers Feuer und
schwenkt es
leicht hin und her.
«Tatsächlich, da kommen Höhenkurven heraus.»
«Die Milch verkohlt und wird damit sichtbar.»
«Hier ist Wald.»
«Da Zahlen.»
Res legt den Zettel, der zu einer richtigen Landkarte
geworden ist, vor sich auf den Boden. Die
ganze Bubenbande beugt sich über ihn. Jeder
will das seltsame Ding zuerst sehen. Namen aber sind
keine darauf.
«Gebt eine Karte her, wir müssen vergleichen.»
«Es wird irgendwo hier in der Gegend sein.»
«Also, wo
ist Wasser?»
«Hier.»
«Da auch.»
«In Frage käme einmal Horn. — Aber das ist zu
weit vom Bach weg und das Relief stimmt nicht.»
«Mieseren?»
«Möglich. Nein, der Bach fließt nicht in den Wald
hinein.»
«Da, natürlich, beim Erli unten.»
«Genau. Auf zum Erli. Bevor der Löwe anrückt.»
«Wir durchkämmen das ganze Revier. Wer etwas
findet, macht kurz den Indianerruf.»
Die Buben sind nicht mehr zu halten. Wie die Wilden
jagen sie dem Hof zu.
Nur einer hat keine Eile.
Traurig schlendert er hinten nach. Was hat es
für
ihn
noch einen Zweck, sich einzusetzen, wo nachher
doch alles falsch ausgelegt wird? Daß er aber
durch sein
trotziges Gehabe sich selbst ausschließt,
wird ihm nicht klar.
«So komm jetzt, Rolf, und mach mit», winkt ihm
Res von unten zu.
9.
Kapitel
«Da kommt nur das Erli in Frage.» Fredi faltet die
Karte zusammen. «Wir müssen uns beeilen.»
«Wenn die Bären nur nicht schon dort sind, die
haben das gleiche Kroki.»
«Los, über diese abgemähte Wiese.»
Die wilde Löwenbande rast Kopf über Hals den
Abhang hinunter. Nichts vermag sie noch aufzuhalten,
nicht einmal das Waldstück mit seinen Dornengestrüppen,
die es zu durchdringen gilt. Der
Goldrausch hat die Buben gepackt, sie riechen den
,Goldenen Eber'. Wer will da nicht mitrennen?
Auch Urs ist dabei, auch er lärmt und schreit. Er
scheint froh und glücklich zu sein. Klar, seine Ehre
ist gerettet. Man erkennt sogar seinen Mut. Das tut ihm wohl.
überhaupt: das Bewußtsein, einmal im Mittelpunkt der
Lagergemeinschaft gestanden zu
haben, läßt ihn etwas aufleben. Ihn, den Zurückgestellten,
den Unerkannten. Aber irgendwie würgt ihn doch immer wieder das
Gewissen. Er verdrängt
die Gedanken, aber sie sind lästig wie Fliegen.
Immer wieder tauchen sie auf.
«Rolf muß ja mächtig wütend sein auf mich. Wie
der geschaut hat gestern abend. Am liebsten
hätte
er
mich aufgefressen. An seiner Stelle hätte ich das
auch gewollt. Eigentlich kann ich es
begreifen. Er
weiß ja, daß ich
es gewesen bin. Aber er vermag
mir
nichts zu beweisen.
Eigentlich tut
er mir leid. Ist er doch mein Kame rad.
Der Jungwächter ist ein zuverlässiger Kamerad.
Pah! Ich kann
nur Kamerad sein, wenn der andere
es auch zu mir
ist. Christian hat zwar einmal gesagt,
man müsse zuerst den andern lieben und nicht
schon von
vornherein Forderungen stellen. Was hat
Rolf eigentlich
getan? Das ist doch kein Verbrechen.
Warum mußte ich überhaupt lügen? Jeder
weiß, daß er der
Stärkere ist. — Aber der Unfall.
Die dumme
Geschichte mit dem Unfall. Ich habe
ja die
Falschmeldung geschrieben und dann ist es
passiert. Und
jetzt die dicke Lüge. Zum Donner,
die
Lüge. Nein, Bulle würde mich glatt zur Jungwacht
rauswerfen, wenn er die Wahrheit wüßte.
Nein, ich kann
und darf nichts zugeben. Dann wäre ich erledigt.»
Urs merkt, daß er stehengeblieben ist. Die andern
Buben hat schon der Wald verschluckt, nur noch
ihr Gejohle bleibt zurück. Da: schmetternde Clairontöne.
«Oha! Die Bären! Jetzt gibt's ein Gefecht.» Urs
jagt den Kameraden nach. «Auf keinen Fall darf
ich mir etwas anmerken lassen. Sonst bin ich verkauft. überhaupt
sollte ich nicht soviel daran denken. Aber so leicht ist das gar
nicht.»
Die Bären sind da. Hoffentlich haben sie den heißbegehrten
Schatz nicht schon gefunden. Es scheint
nicht der Fall zu sein. Breitbeinig stehen sie da. Res
an der Spitze, und fangen den anstürmenden Harst
ab. Huronengebrüll erschüttert die Luft und
prallt
an die Felsen. Jetzt ist die Lage ernst. Jetzt geht es
nicht um ein
paar lumpige Raketen, jetzt steht der
,Goldene Eber'
auf dem Spiel. Wer wird ihn zuerst
in Händen haben?
Kann er bei dem Tumult überhaupt
noch gesucht und gefunden werden? Die
Straße wirbelt
trockenen Staub auf, das kurze Gras
wird vollends
zu Boden gepreßt.
«Auf, an die Morseflagge!»
«Nicht so!»
«Schnell!»
Keuchend balgen sich Ruedi und Alfons am unteren
Ende der Wiese, Peter und Sigi stürzen sich
auf Fredi.
Wolfgang kommt ihnen zu Hilfe, aber
Andi verteidigt
seinen Führer.
«Aua!» Ein schallendes Gelächter quittiert den
Schrei. Markus hat den Bach übersehen. Pudelnaß klettert er wieder
ans Trockene. Und ausgerechnet Markus muß das passieren.
Daß zwei Bären fehlen, fällt in diesem
Durcheinander
keinem der Feinde auf.
Rolf steht tatenlos da. Seine Augen suchen krampfhaft
nach Urs. Jetzt schießt er zum Wald heraus.
Rolf fängt ihn ab. Packt ihn, reißt und rollt mit ihm ins Gras.
Ratsch, der Bändel ist weg. Aber
immer noch preßt er ihn zu Boden.
«Laß mich los, ich bin ,tot'.»
«Du, sag mal, warum hast du so gelogen?»
«Laß mich los oder ich schreie.»
«Ich hätte Lust, dir eine zu schmieren.»
«He, laß mich los. Hilfe, zu Hilfe!»
Christian löst sich aus dem Chaos und hastet zum
Waldrand hinauf.
«Daß diese Kerle doch nie Ruhe geben können.
Es
ist
zum Haaröl Saufen.»
Verlegen stehen die beiden auf und senken die
Köpfe.
«Rolf will mich schlagen wegen der Falschmeldung.»
Rolf ärgert sich. Er wird sich bewußt, daß er jetzt
einen groben Fehler begangen hat. So muß er ja
noch
verdächtiger erscheinen. Darum schweigt er.
«Herrschaft noch einmal. Hört denn das nicht auf,
Rolf? Die Sache wird doch langsam langweilig.»
«Ich bin aber unschuldig. Urs hat gelogen.»
«Nein, du lügst.»
«So geht das nicht.» Christian packt die beiden
Streithälse am Kragen, und verzieht sich mit ihnen
hinter die Scheune, während auf der andern Seite des Hofes der Kampf
tobt.
«Könnt ihr zwei euch denn nicht ertragen? Ist
das wirklich nicht möglich? Wer schuld ist, das
spielt jetzt gar keine Rolle. Lügen tut vielleicht
keiner von euch beiden. Sicherlich ist alles nur ein blöder Irrtum.
Hört her, ihr müßt euch in Gottes
Namen endlich vertragen. Für Jungwächter ist das,
was ihr da bietet, einfach unmöglich. Total unmöglich.
Das geht nicht.
Gewiß, man
kommt manchmal etwas über's Kreuz,
oder
ist verschiedener Meinung, aber dann muß man sich wieder die Hand
geben und sagen, wir gehören doch zusammen. Alles andere ist
Humbug.»
Urs schwankt. Soll er jetzt doch die Wahrheit
sagen? Zu Christian hat er Vertrauen. Die Wahrheit.
Sie tut vielleicht ein wenig weh, aber dann
ist alles überstanden. Soll er? Seine Hand zittert.
Es verstreichen Sekunden der Stille. Christian hofft
vergebens, es würde einer den Anfang zur Versöhnung
machen. Rolf blickt finster und verbockt, Urs
angstvoll und blaß drein.
Soll er mit der
Wahrheit herausrücken? Er stottert,
preßt die Worte
über seine Lippen:
«Ich — ä, ich, ich wollte sagen ...»
Ein brausendes Freudengeheul schneidet ihm das
Wort ab.
Die Bären haben eine Morseflagge erbeutet.
«Ich muß zurück. Kommt, macht jetzt anständig
mit»,
schreit Christian und ist schon um die Hausecke
verschwunden.
Rolf folgt ihm gleichgültig. Nur Urs steht noch da,
einsam und verlassen. Die Gelegenheit ist verflogen.
Er hätte den Mut gehabt, alles zu sagen, aber jetzt ist er froh, daß
er es doch nicht hat tun können.
«Nein, ich darf nichts zugeben. Sonst kann ich das
grüne Hemd an den Nagel hängen.» Jetzt stürzt
auch er sich in die Schlacht.
Fredi kniet geschlagen im Gras. Zuerst muß er sich
verschnaufen. Dumm. Diesmal hat er mit seiner
Flagge dran glauben müssen. Am liebsten möchte er das Kämpfen
einstellen und nach der Kiste suchen.
Aber wie? Zuerst müssen diese lästigen Bären verschwinden.
«Verflixt, daß die zuerst da gewesen sind. Kommt
die Kiste ans Tageslicht, scherbelt es ohnehin nochmals.
Wie soll man da den ‚Goldenen Eber' ins
Lager schleppen können.»
Die Bären empfinden nicht im entferntesten
Lust,
den Kampf einzustellen. Im Gegenteil: Die eroberte
Flagge berauscht
sie, treibt sie, zerrt sie ins Gefecht.
Zeit und
Punkte sollen herausgeschunden werden,
hat ihnen Res eingebleut. Vor allem Zeit.
«Herrschaft», knurrt Fredi und läßt sich einen gewöhnlichen
Bändel an den Arm binden. «Jetzt aber
drauf. Und die Flagge muß wieder her. Vielleicht
vergeht denen dann die Freude am Keilen.»
Der Boden erzittert von neuem, der Kampf ist hart.
Noch sind die Bären im Vorteil, aber da, da verliert
Res die eroberte Flagge. Die Löwen brüllen.
«Toll, wir haben sie wieder!»
«Jetzt noch die andere.»
«Drauf.»
Aber was ist jetzt? Berni stößt ein kurzes
Signal
durch sein Clairon. Die Knäuel lösen sich. Die Bären
weichen langsam zurück. Meter um Meter verlagert
sich die Schlacht dem Hof zu. Jetzt, drei
schrille Pfiffe.
Die Bärenbande stürmt die Straße
hinauf dem
Lager zu. Flucht! Die Löwen jagen in
schäumender Wut
hintennach.
«Halt!» brüllt Fredi. «Halt, schnell, kommt alle
zum Hof zurück!»
Nur eine dicke Staubwolke bleibt von den flüchtigen
Bären übrig.
«So, die scheinen die Nase voll zu haben. Jetzt
aber auf die Suche nach dem Schatz.»
«Da ist etwas faul», protestiert Berni. «Hast du die
grinsenden Fratzen gesehen? Die führen noch etwas im Schild. Der
Rückzug ist Täuschung.»
«Oder haben die etwa schon die...»
«Die Kiste. Natürlich, die haben die Kiste. Die
sind vor uns schon da gewesen.»
«Dann müssen sie aber vorher damit verduftet
sein.»
«Klar, und der Kampf hat uns nur aufhalten sollen.»
«Vielleicht ist sie aber noch gar nicht im Lager.
Hier den Weg hinauf haben sie sie nicht geschleppt,
das hätten wir gesehen.»
«Anders ist es aber gar nicht möglich.»
Christian studiert die Karte.
«Doch, hinten herum. Es ist zwar weiter und mühsamer, aber man merkt
es nicht.»
«Also, renn du mit deiner Gruppe dieser Fährte
nach. Wir versuchen von vorne das Lager abzuriegeln.»
Die Bären atmen sich indessen beinahe die Lungen
aus. Nur noch wenige Meter zum Lager, dann werden
sie sich am Sieg erfreuen. Tatsächlich haben
sie im letzten Moment die schwere silberbeschlagene
Holzkiste unter der Erlibrücke entdeckt. Aber
die Bären haben nicht einmal Gelegenheit gehabt, die Truhe zu
öffnen, denn bereits haben scharfe
Clairontöne den nahenden Feind angekündigt. Wie
der Blitz sind darauf Werner und Willi mit dem
,Goldenen Eber' verschwunden, um durch den
Wald, von hinten über den steilen Buckel, das
Lager zu erreichen, derweil die andern scheinheilig den Kampf gegen
die Löwen aufgenommen haben.
Jetzt stehen sie schon vor ihren Zelten. Unten
taucht der Feind auf. Der wird Augen machen.
Aber was ist denn das? Von einer Kiste
und
ihren
Trägern finden die Buben keine Spur.
«Was? Die sind noch nicht da? Das gibts doch
nicht!»
«Die haben so lange Zeit gehabt.»
«Die Löwen kommen!»
Die Buben sind geschlagen. Ist alle Mühe umsonst
gewesen?
«Das Gold wird zu schwer sein», lacht Paul.
«Natürlich.» Res schlägt sich an den Kopf. «Die
Kiste ist eisenschwer. Die schaffen es allein nicht.
Schnell, wir helfen ihnen.»
«Garantiert ist Blei drin.»
«Nicht schwatzen, handeln.»
Werner und Willi stehen knapp unterhalb des Grates,
beinahe erschöpft, schnaufend, wie Brauereirosse.
Auf Stirn und Wangen perlen glänzende
Schweißtropfen.
«Ist Zeit, daß ihr uns endlich helft. Wir krepieren
sonst noch.»
«Habt ihr die Kiste geöffnet?»
«Nein.»
«Ihr Kläuse, sicher ist sie mit Steinen gefüllt.»
«Daran haben wir nicht gedacht.»
Heini reißt den Deckel auf. Donnerndes Gelächter.
«Schleppen die solche Steinbrocken fast 150 Meter
in die Höhe.»
«Unten hört man Stimmen!»
«Die Löwen. Schnell. Die Steine raus!»
Der hindernde Ballast prasselt ins Gestrüpp.
Jetzt
ist
die Kiste ganz leicht. Aber oben und unten paßt
der Feind auf.
Schnell um den Hügel herum. Zwei
Löwen
versperren den Zugang zum Lager. Bändel
weg. Sie werden
kampfunfähig. Die Bären brechen
durch. Die
Kiste ist im Zelt. Geschafft.
Die Löwen sind Sekunden zu spät eingetroffen. Die
Sieger aber springen wie betrunken um die Kiste
herum. Sie können es nicht fassen, vor Freude und
Glück. Der ,Goldene Eber' ist geborgen. Leer zwar
und ohne Gold, aber dafür mit einem Zettel am
Klappdeckel: Schokolade im Wert von zehn Franken.
Was ist denn Gold und Silber gegen soviel
Schokolade? Langsam legt sich der Sturm. Die
Buben werden ruhiger.
«Peter, laufe sofort ins Lagerhaus und melde: ,Goldener
Eber' erobert und sichergestellt», befiehlt Res
und klemmt sein Clairon unter den Arm. Die Jungwächter
stürmen zum Erlifelsen. Der Siegestaumel
löst sich in flotte schmetternde Märsche auf.
Das
Metall der beiden Heroldstrompeten funkelt in der
Sonne, die schon
hoch über dem Homberg steht.
Die roten Wimpel
flattern, als wollen sie an der
Freude
teilnehmen.
«Zigi zagi, Zigi zagi, Hoi hoi hoi!» hallt es über die
Baumwipfel hinweg. «Sieg. Sieg. Sieg! Wir haben
den ,Goldenen Eber'!»
Weit unten aber trotten die niedergeschlagenen
Löwen. Sie werfen grimmige Blicke zum Felsen
und ballen die Fäuste. Noch ist für sie die Schlacht
nicht verloren.
Vor Begeisterung verspürt niemand Hunger. Willi
aber drängt zu den Zelten zurück:
«Ich brauche zwei Mann, um Patati zu schälen,
und einer muß den Ofen heizen.»
Die übrigen Buben legen sich ins Gras und genießen
Sonne und Sieg. Allerdings weiß jeder,
daß noch lange nicht Spielabbruch geblasen
wird, aber der ,Goldene Eber' ist hier, und das genügt.
Kurz vor dem
Mittagessen, Willi hat eben seine
Suppe
probiert und sich dabei tüchtig den Mund
verbrannt,
trifft der Meldeläufer ein. Er überreicht
Res einen
versiegelten Briefumschlag. Die Jungwächter
strecken ihre Hälse. Das Siegel bricht entzwei.
Res liest die Depesche vor:
«,Goldener Eber' muß bis fünf Uhr im Lagerhaus
sein.
Dabei darf er vom Gegner erobert werden.
Verbringt einen
schönen Nachmittag. Bulle.»
«Da haben wir's.»
«Hab doch gleich gesagt, wir sollen nicht so lärmen.»
«Am Schluß siegen doch die Löwen.»
Willi aber macht dem Gerede ein Ende. Er wischt
seine russigen Hände am Hosenboden ab und
schöpft seine Fidelisuppe aus:
«Kreuzpestmillionen! Könnt ihr nicht warten.
Einer nach dem andern. Wie in Paris. Messieurs.»
10. Kapitel
Die schwüle Mittagshitze ermüdete die Gemüter
und lähmte die ohnehin schon von der Niederlage
ermatteten Glieder der Löwen. Faul lagen sie im Schatten des Waldes
und machten Siesta. Was sollten
sie denn anderes tun? Die Schatztruhe hatte keinen Reiz, solange sie
im Bärenlager geborgen
war. Gewiß, es
winkte nochmals eine Chance, dann,
wenn sie ins
Lagerhaus gebracht würde. Aber vor
drei
Uhr brauchte man damit nicht zu rechnen.
Lieber wollten
die Löwen ihre Kräfte aufsparen, um dann zum entscheidenden Schluß
nochmals
einen Coup
starten zu können.
Außerdem mußten die Zelte und die Kochstelle
vorher abgebrochen werden.
«Das Lager wird verlassen, wie wir es angetroffen
haben», hatte Fredi angekündigt. «Aber zuerst
legen wir uns auf die faule Haut und verdauen
die Spaghetti.»
Unterm Nußbaum trieben vier Jasser den «Schweizer
Nationalsport».
«Trumpf Buur.»
«Eicheln Ass.»
Die Karten flogen auf einen Haufen in der Mitte.
Herbert blinzelte über die Fächer in seiner Hand:
«Schaut euch die Siebenschläfer an da drüben. Die
können am hellichten Tag schnarchen. Natürlich wieder unsere
Ältesten.»
Wirklich streckten dort die Gruppenführer ihre
Nase tief ins Gras und dösten. Den Jungwächtern,
welche unterhalb der Zelte hockten, wäre dies zu
langweilig gewesen. Sie übten sich lieber im Messen
und Schätzen. Andi streckte den Daumen in die Höhe.
«Wie weit mag es bis zum Spittelhof sein?»
«Zirka einen Kilometer», vermutete Ueli. Charli
protestierte:
«Nie im Leben. Auf diese Entfernung würden wir
die
Farbe der Fensterläden vom Haus nicht unterscheiden können. Bis zum
Waldausgang werden es
hundert Meter
sein. Demnach zu jenem alleinstehenden Baum 200 bis 250 Meter. Der
Baum steht ziemlich genau in der Mitte.
Also 500 Meter.»
«Stimmt. Auf der Karte sind es 500 Meter», bestätigte Andi.
Einen Steinwurf weiter probierte Markus den
Handstand. Es wollte ihm einfach nicht gelingen.
Immer artete der Versuch zu einem Purzelbaum aus.
Edi schnitzte sich einen prächtigen
Spazierstock.
Mit seinem Dolch
schnitt er schmale Streifchen in
gleichmäßigen
Abständen in die Rinde. Dann kerbte
er
eine lange Spirale ein, die wieder mit drei Ringen
abschloß. Ein breites Stück Rinde ließ er unversehrt.
Hier wollte er den Stock mit der Hand
anpacken.
Darunter aber zog er gezackte Längsstreifen,
die sich plötzlich kreuzten.
«Brauchst du den, um Kühe zu hüten?» spöttelte
Ruedi, der neben ihm den Rücken sonnte und schon
eine ganze Weile dem Künstler zugestaunt hatte.
«Beiß aber dabei deine Zunge nicht ab.»
«Gefällt er dir nicht?» Edi hielt den Stab ins
Licht.
«O doch. Ist ganz nett.»
Über den Buben spannte sich eine stahlblaue, wolkenlose
Decke; ringsum gesäumt von hellem und
dunklem Grün. Ein leichtes Lüftchen bewegte die
Blätter.
Fredi räusperte
sich, gähnte langgezogen und
streckte die
Arme aus. Dann kniete er auf und
blickte auf
seine Armbanduhr. Er pfiff schrill durch
die Finger.
«So, meine Herren, wir brechen das Lager ab.
Wenn wir den ,Goldenen Eber' erobern wollen,
müssen wir rechtzeitig das Lagerhaus verbarrikadieren.
Anders kommen wir nicht an die Kiste heran,
denn das Gebiet ist zu groß und weitläufig.
Christians Gruppe legt die Zelte zusammen. Göpf sammelt alles
Lagermaterial und wir säubern den
Platz.»
In kurzer Zeit erinnerte nur noch ein zertretener
Rasen und der runde, schwarz verkohlte Fleck
in
der
Mitte an das geschliffene Kriegslager. Die Zelte
lagen zu Ballen
gepackt am Waldrand, darauf Kessel und
alles Geschirr. Die Rucksäcke hingen bereits
an den Schultern der Buben. Göpf verteilte
nochmals gelbe Wollbändel.
«Das Zeug da schaffen wir zuerst ins Lagerhaus,
damit wir jeden unnötigen Ballast los werden. Wir
müssen aber leise sein. Am besten schleichen wir
hinten herum. Den Bären ist nämlich nicht zu
trauen.»
Bulle schmunzelte beim Anblick dieser Trägerkarawane.
Er hockte auf dem knorrigen Spaltstock
vor dem Haus und fingerte an seinem Feldstecher. «Was, ihr seid
schon da? Gebt ihr euch geschlagen?
Der ,Goldene Eber' kann noch erobert werden.» Fredi warf sein
Zeltbündel von der Schulter.
«Das wissen wir. Hier aber ist die beste Gelegenheit.
Überall können die Bären uns umgehen, aber
da nicht. Hier
müssen sie durch.»
«Wenn sie aber den Cordon durchbrechen, sind sie
drin.»
«Wenn! — Zuerst muß ihnen das gelingen. Wir verrammeln
doch einfach den Eingang. Zwei Buben
warten von innen
am Küchenfenster und wir geben
ihnen die Kiste
hinein. Nichts ist einfacher.»
«Macht, was ihr für gut findet. Ich verziehe mich
in den Führerschlag. Auf den Endkampf bin ich
nun doppelt gespannt.»
Die Buben schleppen alles, was nicht niet und nagelfest ist, vor die
Haustüre: Stühle, Bänke,
Tische, ja sogar das Brennholz. Der Vorplatz
gleicht einem wahren Ameisenhaufen.
«Den Tisch hochkant, damit sie die Kiste nicht oben
durchwerfen können.»
«So ist's gut, bringt noch einen Stuhl her.»
«Was ist mit der Hintertüre?»
«Die verriegeln wir von innen. Es sind nur unsere
Leute im Haus, da macht keiner auf.»
Die Festung ist fertig. Unter dem Vordach
stehen
zwei Reihen Jungwächter, dicht und undurchdringlich,
und dahinter verwehrt das ganze Gerümpel
den Durchbruch. Die übrigen Buben müssen dann
um die
Kiste kämpfen. Das gibt ein Gaudi.
«So, die sollen nur kommen, diese lausigen Bären
mit ihrem ,Goldenen Eber'. Die sollen nur kommen
und uns Löwen kennenlernen.»
Vor Vergnügen und Siegesgewißheit schlagen sich die Buben
gegenseitig auf die Schultern.
«Ja, die sollen nur kommen.»
Drüben, auf der Erlifluh, wird das Fernglas gewechselt.
Res macht ein essigsaures Gesicht.
«Donner und Doria. Wie bringen wir jetzt diese
dumme Kiste in den Bunker hinein?»
«Mit Gewalt auf keinen Fall», macht Berni und
setzt das Glas an. «Da müssen wir schon eine List
anwenden.»
«Aber wie?»
«Zuallererst werden wir uns die Geschichte
etwas
aus
der Nähe ansehen.»
«Wenn wir von hinten angreifen würden?»
«Etwas anderes bleibt uns nicht übrig. Von vorne wäre glatter
Unsinn.»
«Die Sache ist heikel.»
«Einer von uns müßte unbemerkt ins Haus hineinkommen.»
«Wozu?»
«Um die Kiste in Empfang zu nehmen.»
«Das ist leichter gesagt als getan.»
«Allerdings.»
Die Bären sind ratlos. Der Fall sieht verworren aus. Die Sperre ist
zu stark. Vorschläge fallen, werden
wieder verworfen. Den Buben will der Mut sinken.
Da platzt Marcel mit einer grandiosen Idee heraus.
Die Spannung steigt. Je länger die Löwen warten
müssen, desto mehr wittern sie den Feind hinter
jedem Baum. Ruedi hat die Bären zum Erlihof hinunter
steigen sehen. Sie müssen jeden Moment da
sein. Es
prickelt in allen Gliedern. Jetzt kommts
drauf an. Wer wird Sieger? Die Punkte und Flaggen
sind zu sehr ausgeglichen. Wer den ‚Goldenen
Eber' ins Haus
hineinbringt, hat gewonnen.
Da humpelt Alfons wehleidig den Steinweg zum
Haus hinunter. Er stöhnt. An seinem Knie leuchtet
ein mordsgroßer Verband. Bei genauerem Hinschauen
sieht man, daß er rot durchwirkt ist.
«Was ist mit dir los?» Göpf packt ihn am Arm.
«Herrschaft, ich bin ausgerutscht und habe mein
Knie
aufgeschürft. Ah, das tut weh... Res schickt mich hierher, damit
Bulle die Wunde behandeln
kann.»
«Wann kommen deine Kumpane?»
«Das weiß ich doch nicht. Die habe ich seit
einer
halben Stunde nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Ich kann ja
nicht kämpfen mit dem Bein.»
Die Löwen weichen ein wenig zurück und Alfons
schlüpft durch die Bresche ins Haus. Beinahe hätte
er mit dem
falschen Bein gehunken.
«So ein Simulant», denkt Fredi und schüttelt den
Kopf.
Dann ist es wieder zum Zerplatzen still. Die
Ruhe
vor
dem Sturm. Jetzt muß es jeden Moment scherbeln.
Der
Fahnenmast ächzt und knarrt. Der Wind treibt
seinen Spott mit
den vier großen Bannern. Sie
wehren sich,
wild ausschlagend: die rote Schweizerflagge und darunter das
blau-weiße Kantonswappen,
die leuchtend gelbe Lagerfahne und das
immergrüne
Jungwachtbanner mit seinem strahlend
weißen Chiro.
Der Wind spielt auch mit den Baumkronen des
Waldes, der leise sein Lied dazu summt. Aber vom Feind ist nicht das
Geringste zu hören. Doch spürt
jeder, daß der Angriff in der Luft liegt. Die Löwen
werden nervös.
Da! Von der Seite her stürmt der ganze Harst
Bären in wildem Durcheinander dem Haus zu.
Einige überschlägt es. Sie reißen sich hoch und rennen. Dicht
umgeben sie die Träger der Schatzkiste.
Diese ist fest in eine Zeltblache gehüllt. Sie jagen
auf den Eingang zu und werden von den Löwen
abgefangen. Blitzschnell wenden sie sich nach Süden
und rasen wieder vom Haus weg. Die Löwen
in blindem
Rausch hintendrein.
«Los drauf!»
«Ihnen nach.»
«Den ,Goldenen Eber'!»
Auch der lebende Schutzwall vergißt seine Pflicht.
Alles stürmt der Bande nach. Immer weiter vom
Haus weg.
Jetzt erreichen sie schon wieder den
Waldrand. Die
Löwen holen ein. Geschrei, Gejohle,
Keilerei. Sie
ergreifen die Kiste. Für einen Moment
scheint sie
ihnen zu gehören. Aber nein. Die Bären
halten sie fest.
Jetzt, jetzt gelingt es den Löwen
den Schatz an
sich zu reißen. Sie kehren um, jagen
dem Haus zu,
die Gegner auf den Fersen.
Aber was ist denn das? Oben schmettert jemand die
,Reveille» in die Luft hinaus. Berni steht im ersten
Stock und trompetet. Am andern Fenster lungern
Sigi und Alfons. Sie schreien, die Bären schreien
mit, machen Handstände, überschläge, umarmen
sich. Den Löwen stockt der Atem. Hören sie
richtig?
Die rufen ja:
«Sieg! Sieg!»
Fredi reißt die Zeltbahn von der Kiste.
«Die haben uns reingelegt. Das ist ja nur eine leere
Kartoffelharasse.»
«Oh je. So etwas Blödes.»
«Zum Kuckuck.»
«Wir haben verloren.»
Die Kiste fliegt im weiten Bogen über das Bord
hinunter, das Zelttuch folgt. Sigi hält stolz die
silberbeschlagene Schatztruhe zum Fenster hinaus
und streichelt sie liebevoll. Der ,Goldene Eber' ist
geborgen, die List geglückt.
Während die Löwen blindlings der imitierten Kiste
nachgestürmt sind und nicht gemerkt haben, daß
sie sich
immer weiter vom Haus entfernen, hat
Alfons die
Hintertüre geöffnet. Den Verband trägt
er nicht mehr,
aber am Knie klebt immer noch Himbeersirup.
Berni und Sigi sind dann von Norden
her ans Haus
gesprungen und haben die Kiste in
Sicherheit
gebracht. Die Barrikade hat versagt.
Rrrrrrrrrrädä, dätätdä …
Fredi wirbelt auf sein
Trommelfell, drei blanke Clairons drehen sich über
den Köpfen und blinken in der Sonne. Die Jagd
nach dem ,Goldenen Eber' war zu Ende.
Die Buben sammelten sich um den Fahnenmast.
Schmutzig, zerschunden und zerzaust, mit dreckigen
Hosen und zerknitterten Socken. Aber das Geländespiel
hatte eingeschlagen.
Bulle hob die Hand und gebot Ruhe.
«Ich glaube, wir müssen die Bändel nicht abzählen.
Die Bären haben gewonnen ...»
«B r a v o !»
«Uhh!»
«Aber gekämpft wurde auf beiden Seiten gut.
Jetzt wollen wir aber wieder eine einzige Schar
sein. Die Feindschaft ist aus. Laßt uns die Friedenspfeife
rauchen.»
«Wenn wir nur dürften», machte Alfons und leckte
an seinen Sirupfingern.
«Jetzt geht ihr duschen und zieht euch sauber an.
In einer Stunde ist Nachtessen.»
Die Buben eilten zur Schlafhütte, die wenige Meter
unterhalb des Lagerhauses stand. Die Duschen und
Wasserhahnen liefen auf Hochtouren. Für einige
brauchte
es allerdings Ajax und Schrupper, bis die
Hautfarbe wieder
hellere Töne bekam.
«Au», schrie Toni. Ein nasser Waschlappen hatte
ihn am Bauch getroffen. Er packte ihn und warf
ihn zu Stephan zurück, der sich scheinheilig grinsend einseifte.
«Ist einfach toll in der Jungwacht.»
«Hab ich ja immer gesagt.»
11. Kapitel
Bulle stopfte nochmals seine Pfeife und zündete sie
an. Er stieß eine dicke Rauchwolke aus und wandelte
in gleichmäßigen Schritten auf und ab. Es
war Nacht. Das
Haus und der Wald erschienen als
große, dunkle
Flecken, wie tot. Unten in den
Schlafsälen war
der Lärm längst verstummt. Auch
die Gruppenführer
hatten gute Nacht gesagt. Ja,
sie hatten die
Ruhe alle nötig, nach dem zweitägigen
Geländespiel.
«Schade, daß so eine dumme Sache dazwischen kommen mußte. Sonst
wäre das Spiel ganz nett
gelungen. Ewald hat enormes Glück gehabt. Das Bein wird bald
verheilen, hat der Arzt erklärt.»
Bulle lauschte in die Nacht. Irgendwo bellte
heiser
ein Fuchs. Sonst lag eine beruhigende Stille über der
Gegend. Weit
unten im Tal schlug eine Uhr.
«Zehn.
Schon wieder so spät. Ich schaue nochmals
zu den Buben
hinein und lege mich dann selbst aufs
Ohr.»
Während der Scharführer seine Pfeife ausrauchte,
ließ er in Gedanken nochmals das ganze Spiel, wie einen Film
durchlaufen.
«Rolf macht mir Sorgen. Er schließt sich richtiggehend
von der Gemeinschaft aus und spricht kaum. Nach dem Abendgebet hat
er mich mit
weitaufgerissenen Augen angeblickt. Ganz verstört sah er aus. Auch
ungepflegt scheint er mir. Nicht
einmal gekämmt
hat er sich. Sein Haar hing weit
ins Gesicht.
Dabei gibt er sonst so viel auf Ordentlichkeit.»
Bulle schlug sich an die Stirne.
«Herrjeh. Der Bub wollte mich doch sprechen. Das
habe ich glatt vergessen. Ach, morgen ist auch wieder
ein Tag. Wäre die Sache wichtig, hätte er mich
nochmals gesucht.»
Bulle klopfte die Pfeife an der Schuhsohle aus und
öffnete leise die Türe. Sie knarrte. Über dem Raum
lag tiefer Schlaf. Ganz hinten «sägte» ein Jungwächter
einen Holzklotz durch. Dumpfe Atemzüge übertönten
den schleichenden Schritt des Scharführers.
Er tastete sich
den übereinanderliegenden Strohlagern
entlang. Im obern «Stockwerk» streckte
einer seine Füße
über die Wandung. Schon spürte
sie Bulle im
Gesicht. Er wich zurück.
«Was ist das denn für ein Kerl?»
Die Taschenlampe blitzte auf.
«Wie Engel sehen sie alle aus, diese Lauser. Wenn
sie nur immer so wären.»
Der Lichtkegel überflog der Reihe nach alle Gesichter.
Von einigen Buben guckten nur die Haarbüschel
aus den Wolldecken.
«Halt, was ist da. Hier ist ein Strohsack leer.»
Bulle blieb stehen und leuchtete auf die Stelle. Daneben
rührte sich ein Haarschopf und wie ein
Murmeltier kroch Sigi auf und hielt die Hand vors
Gesicht.
«Bist du noch wach?» flüsterte Bulle.
«Ja, daß heißt nein. Jetzt bin ich erwacht.»
«Wer liegt da neben dir?»
«Neben mir? Ah, neben mir. Da liegt Max. Nein,
der schläft ja auf der andern Seite. Neben mir?»
Sigi schoß hoch. Jetzt war er hellwach.
«Da
müßte doch Rolf sein. Er war vorhin aber noch da. Sein
Schlafsack ist auch weg.»
«Habt ihr gestritten?»
«Nein. Er redet ja gar nicht mehr.»
Auf der Gegenseite raschelte Stroh. Ein Jungwächter
drehte sich aufs andere Ohr. Der Schnarcher
im Hintergrund hatte scheinbar seinen Baumstamm
durchgesägt und gab Ruhe.
«Gewiß liegt Rolf an einer anderen Stelle», vermutete
Bulle.
Sigi warf die Decke zurück und kniete in seinem Trainingsanzug auf:
«Aber der Rucksack und die Schuhe, alles ist weg.»
«Tatsächlich.» Der Scharführer erblaßte. «Leg dich
wieder hin und schlafe. Die andern wachen schon auf.»
Werner hob seinen Kopf und zwinkerte mit den
Augen. Die Lampe erlosch. Die Buben drehten sich
um und schlummerten weiter. Bulle suchte den Ausgang.
«Verflixt, jetzt ist mir der Kerl durchgebrannt.
Wenn er nur keinen Blödsinn macht. Herrschaft,
überall steilabfallende Felsen. Dabei ist es stockdunkel.»
Er knöpfte die Taschenlampe an seinen Ledergurt
und stieg zum Haus hinauf.
«Ich muß ihn suchen. Er kann noch nicht weit sein.
Aber welchen Weg mag er eingeschlagen haben?
Allzuviele Möglichkeiten gibt es jetzt in der Nacht
nicht. Am ehesten
kommt die Straße nach Olten
in Frage.
Wenn er nämlich nach Hause flieht, muß
er dort den Zug
besteigen. Die Hornfluh wird er
kaum benützen
wollen. So kann er nur Richtung
Ifenthal
marschiert sein. Ich jedenfalls hätte es an
seiner Stelle getan.»
Mit diesen Gedanken hastete Bulle den Weg hinauf
zur Kreuzung und von dort ins Tal. Ein langes
Stück Straße eilte er durch den Wald. Der Mond.
stieg über den Horizont und beleuchtete das Gelände.
Die Hügelzüge tauchten in ein seltsames
Licht. Von milchigen Nebelfetzen leicht verschwommen,
zog sich die Krete nach Westen. Dahinter
bezeichnete ein helleres Stück Himmel die Lage von Olten.
«Dort geht jemand. Das muß Rolf sein. Nur er hat
einen solchen Schritt.»
Hohl widerhallte die trockene Straße unter den dicken Ledersohlen.
Jetzt trat die Gestalt in die
Helle einer Laterne. Scharf umriß das Licht
die
dunkle Silhouette.
«Das ist Rolf. Den Rucksack trägt er auf dem
Buckel. Wenn ich ihm jetzt aber nachrenne,
reißt
er
mir aus. Ich muß ihn von unten abfangen.»
Bulle spurtete
quer über den Wasseracker und den
Weg hinunter zum
Dorf. Obstbäume verdeckten die
Sicht
von oben. Bei der Weggabelung traf er mit Rolf zusammen.
«N' Abend», machte der Scharführer und gesellte
sich zum nächtlichen Wanderer, als wäre dies das
Selbstverständlichste von der Welt.
Rolf schritt schweigend weiter. Er schaute nicht
auf und tat, als wüßte er gar nichts von seinem Begleiter,
machte aber auch keinerlei Anstalten, davonzurennen.
Im Grunde genommen hatte er damit
gerechnet. Es war ihm auch Wurst. Bubentrotz.
«So, machen wir einen kleinen Bummel?»
Keine Antwort.
«Ich muß sagen, bei so klarer Nacht läßt es sich gut wandern. Ich
jedenfalls liebe die Nacht. Du
nicht auch?»
Rolf packte die Riemen des Rucksackes fester und
schmollte. Weit im Hintergrund wand sich ein
Scheinwerferpaar in die Höhe. Einmal funkte es
heller, verschwand und tauchte weiter oben wieder
auf. Dort führte der Paß über den Hauenstein.
Eine Weile tippelten die beiden im Selbtritt nebeneinander. Die
Lichter von Ifenthal lagen schon weit
hinter ihnen. über ihren Köpfen aber blinkten die Sterne. Bulle
zeigte hinauf:
«Siehst du den Großen Wagen? Wenn du die hintere
Achse fünfmal verlängerst, triffst du auf den Polarstern. Ist doch
wunderbar da oben.»
Er schielte zu Rolf und stellte fest, daß der zum
Himmel aufblickte. Bulle fuhr fort:
«Nach dem Porlarstern kann man sich in der Nacht
wunderbar orientieren.
Er
steht genau in Norden.»
Rolf schwieg.
«Soll ich deinen Rucksack tragen, damit du ihn
nicht die ganze Nacht durchschleppen mußt?»
«Nein.»
Bulle atmete auf. Wenigstens ein Wort — schon ein
kleiner Erfolg.
«Wie du willst. Darf ich aber wissen, wohin wir
eigentlich gehen?»
«Nach Hause.»
«Nach Hause? Jetzt in der Nacht? Und überhaupt,
warum heute schon? Das Lager ist noch gar nicht
zu Ende.»
«Für mich
schon.»
«Warum? Gefällt es dir nicht mehr bei uns?»
«Nein, ich habe hier nichts mehr verloren. Ich
gehöre
nicht mehr dazu. Keiner glaubt mir. Ich bin
ein Lügner, weil ich nicht beweisen kann. Ich
habe
die
falsche Meldung nicht geschrieben.»
«Aber Rolf, deswegen läuft man doch nicht einfach
davon. Komm doch zu mir und red.»
«Das wollte ich tun, aber du magst mich auch nicht
mehr.»
«Nein, das stimmt nicht. Ich habe dich wirklich
vergessen und das tut mir leid. Ich muß eben
noch
an
sechzig andere Buben denken. Aber weshalb
sollte ich dich
ausstoßen?»
«Die andern tun es alle auch, sogar Berni.»
«Bist du so sicher? Das bildest du dir ein. Die Kameraden
sind wohl etwas gleichgültig, aber niemals
gegen dich. Und Berni hat dich heute abend schwer
verteidigt. Er behauptet, die Meldung stamme nicht
von dir.»
Rolf blieb stehen.
«Wirklich? Stimmt das? — Aber du glaubst es ja
nicht.»
«Das will ich nicht sagen. — Gehen wir da rechts den Pfad hinunter.
— Vielleicht möchtest du mir
nun doch den Rucksack geben.»
Der Bub war froh, den Ballast los zu werden. «Schau», machte Bulle
und hängte den Lederriemen
ein, «wenn ich gerecht sein will, muß ich beiden
glauben. Ich könnte auch beiden mißtrauen,
aber ich
glaube. Das Dumme ist nur, daß der Kalender
dir gehört.»
«Das verstehe ich eben auch nicht.»
«Du hast ihn doch immer in der Tasche getragen?»
«Das schon.»
Sie stiegen einem schmalen Pfad entlang ins Tobel
hinunter.
«So glaub mir doch. Bitte, glaub mir doch.»
«Gut, auf dein Ehrenwort hin will ich dir glauben.
Ich wäre aber tief betrübt, wenn du mich jetzt anlügen
würdest.»
«Sicher, Bulle, ich sage die Wahrheit.»
Trotz Mond und Polarstern hatte Rolf nicht gemerkt,
daß sie die Richtung geändert hatten. Plötzlich
tauchte vor ihnen wieder Ifenthal auf. Aber
diesmal sah er es
mit klareren Augen an. Bulle
glaubte ihm und
Berni auch. Wie konnte er da
nicht
wieder froh werden?
«Es ist noch zu früh, um heimzugehen. Haben wir
die Tour einmal angefangen, wandern wir auch
noch ein bißchen weiter. Wir wollen dem Geländespiel nachgehen»,
schlug der Scharführer vor.
Sie
schritten dem Erlihof zu.
«Weißt Rolf, ganz freisprechen kann ich dich trotzdem
nicht. Du hast auch deine Fehler. Dein Zornigwerden
bestärkte die Vermutung.»
«Ich weiß, das ist mein großes Kreuz. Immer gehe
ich gleich hoch.»
«Schau, du hast ganz gute Fähigkeiten. Aber
manchmal scheint mir, du bauest zu viel auf dich selbst. Du nützest
die Talente manchmal eher, um
dich emporzuheben, weniger um der Gruppe oder
Schar zu dienen.»
Rolf blickte auf den Boden.
«Du möchtest gerne der Tüchtigste sein. Bitte, versteh
mich nicht falsch. Du leistest viel, das weiß
ich. Aber du willst anerkannt der Beste sein. Die
Tatsache, daß dir etwas gelingt, genügt nicht, man
muß dich dabei loben. Hast du die Fähigkeiten etwa
von dir selbst? Ist es nicht der Herrgott, der sie dir gegeben hat?»
Der Bub lächelte stumm. Es stimmte. Zwar hatte
ihm das noch niemand gesagt und er selbst kannte
sich da wirklich zu wenig. Aber Bulle hatte den
Kern getroffen. Rolf schämte sich ein wenig. Zum
Glück marschierten sie in der Dunkelheit.
«Das macht es natürlich aus, daß du Neider hast
und diese freuen sich an deinem Versagen. Das ist
begreiflich, wenn auch nicht schön. Aber alle
sind
wir
eben nur Menschen. Wie dich nun die Sache mit
der
Falschmeldung brandmarkte, standen nicht alle
auf deiner Seite. Du bist eben doch zu wenig
Kamerad.
Ich weiß, du suchst die Kameradschaft,
aber es gelingt
dir nicht ganz, weil du dich mit den
andern nicht auf gleiche Ebene stellst, weil du besser sein willst.
Die Kühle der andern gegen deine
Verlassenheit
löste in dir das Gefühl des Verstoßenseins
aus.»
Sie überquerten den Bach am Ausgang des Waldes.
«Hier haben wir den ,Goldenen Eber' gefunden»,
sagte
Rolf, um seine Verlegenheit zu überdecken. «Ich weiß, und da in der
Nähe stand euer Lager.»
Bis zur großen
Linde hinauf sprachen sie kein Wort.
Die Nacht
strahlte eine angenehme Wärme aus.
Leises
Glockengebimmel verriet, daß in der Gegend
Kühe weideten. Die beiden Wanderer setzten
sich
ans
Straßenbord.
«Verstehst du mich? Ich will dir gewiß nicht weh
tun. Aber Fehler haben wir alle, doch sind wir
meistens blind dafür. In einem Jahr bist du Hilfsführer
und bald darnach Chef einer Gruppe. Du
hast das Zeug dazu. Aber diesen Makel mußt du
auszumerzen versuchen. Sonst kommst du mit den
anderen
Gruppenführern in Konflikt. Ich denke da
gerade an Urs.
Auch er könnte Führer werden.»
Rolf zuckte zusammen.
«Der?»
«Warum denn nicht? Du darfst ihn nicht unterschätzen.
Nicht die Muskeln machen den Jungwachtführer,
sondern das Herz.»
«Aber so ein Aufschneider wie der. Plagiert mit
Sachen, die nur halb oder gar nicht stimmen.»
Sie standen auf und schritten dem Weidli zu.
«Siehst du, jetzt fehlt dir schon wieder die Toleranz.
Versuche einmal Urs von innen her zu verstehen.
Eben, weil er nicht aufkommen kann, weil
er nichts gilt,
braucht er seine Prahlerei. Würdet
ihr ihn
anerkennen, so hätte er das nicht notwendig.
Er kann sich nun einmal nicht so entfalten
wie du und
andere. Zu Hause ist er angebunden
und kontrolliert
wie ein kleines Hündchen. Sein
Vater möchte aus
ihm einen Kaufmann machen,
dabei liebt er
die Handarbeit. Das arbeitet in so
einem Buben
drin. Und selbst wenn er andere Auffassungen
hat, dürft ihr ihn deswegen nicht einfach
verachten. Das
werde ich morgen auch der ganzen
Schar einmal
sagen. Das geht alle an. Eine Kette ist
so stark wie ihr schwächstes Glied. Wenn ihr
nun
den
Schwachen noch das wenige nehmt, das sie
haben, drückt
ihr euere eigene Gemeinschaft zu
Boden.»
«Aber wenn er einen schmutzig macht und verleugnet?
Kann man denn da noch gut zu ihm
sein?»
«Selbst dann. Es ist
zwar schwer und hart, aber so fordert es unser Evangelium.
Das Vaterunser wäre eine Heuchelei, wenn wir nicht verzeihen
wollten.»
«Hier kämpften wir
um die Depesche.»
Bulle blieb stehen
und blickte Rolf geradewegs ins Gesicht, das im Mondschein
hell leuchtete. Die Haarsträhne hing immer noch wirr in die
Stirne.
«Hier habt
ihr gekämpft. Du und Urs. Und jetzt mußt du hier nochmals
kämpfen, aber mit dir selber. Wenn Urs wirklich die falsche
Meldung geschrieben und darauf gelogen hat, warum tat er das
wohl?»
«Ich weiß nicht.»
«Um von seinen
Kameraden nicht ausgespottet zu werden. Sie haben ihn
unbewußt dazu getrieben.» «Aber wozu soll ich
jetzt mit mir kämpfen?»
«Um die Liebe, die ihr Urs
verweigert. Die mußt du dir jetzt abringen.»
«Das
bringe ich nicht fertig.»
«Rolf, auf dich kann ich
mich verlassen. Du mußt mir helfen, daß Urs bei den andern
Jungwächtern ankommt. Er muß voll und ganz zur Jungwacht
gehören, wir wollen bei uns keine Mitläufer haben.»
Rolf schaute zum Lagerhaus hinüber. Ganz blaß und schwach
vermochte er es am dunkelgrauen Hang zu erkennen. Dort
schlummerten seine Kameraden. Keiner konnte wissen, daß er
mit dem Lagerchef die Nacht durchwanderte. Ob Urs auch
schlief? Vielleicht lag er wach auf seinem Strohsack und
litt. Litt unter der Last des Gewissens, litt unter dem
Bewußtsein, nicht wie die andern zu sein.
Rolf
blickte zu Bulle auf.
«Wenn du meinst, daß es geht?
Ich will es versuchen. Aber Urs muß auch seinen Teil
beitragen.» «Gewiß, auch er muß mitmachen. Ich
werde jetzt gleich mit ihm reden.»
«Jetzt noch?»
«Freilich. Aber du mußt uns vorerst allein lassen?
Fürchtest du dich in der Nacht?»
«Ich? Wo denkst du
hin?»
«Gut geh voraus zum Chambersberg.»
«Wo
ist der?»
«Wenn
du oberhalb unseres Hauses zur
Belchenfluh aufsteigst, wirst du ein Stück weit außerhalb
des Waldes gehen.
Dort machst du ein Feuer.»
«Ein Feuer? Wozu?»
«Frag nicht so viel. Du wirst es noch sehen.»
12. Kapitel
Urs erhob sich mit schlotternden Knien von seinem Strohlager und
legte die Wolldecken zusammen. Er
ahnte nichts Gutes, wie er so spät in der Nacht von
Bulle geheißen wurde, aufzustehen und sich anzukleiden.
Er hatte auch wirklich noch kein Auge zugemacht und wußte, daß der
Scharführer Rolf vermißte. Dabei hatte ihm dieser schon am Abend angedroht,
er werde davonlaufen, wenn die Angelegenheit
nicht bis zur Nachtruhe abgeklärt wäre.
«Jetzt wird er
mich ausfragen und morgen darf
ich in Olten ein
einfaches Billet nach Hause
lösen.»
Der Bub stellte den Fuß auf seinen Rucksack und
bändelte die Turnschuhe zu.
«Ist mir doch egal. Sollen sie mich eben rauswerfen.»
Er schlich zur Türe. Draußen wartete Bulle. Er
hockte auf dem kleinen Mäuerchen und betrachtete
die Sterne. Hoch oben überzog die Milchstraße den
Himmel. Sirius, Algol und Deneb funkelten besonders
hell. Beklommen setzte sich Urs neben Bulle hin, aber dieser blickte
unentwegt hinauf.
«Weißt du, daß es Sterne gibt, die wir jetzt
zwar
sehen, die aber viele Lichtjahre entfernt sind, und
gar nicht mehr
existieren?»
«Der Lehrer hat uns einmal so etwas erklärt.» Urs
staunte. Hatte ihn Bulle etwa hinausgerufen, um
mit ihm Astronomie zu betreiben?
«So, dann gehen wir. Bist du bereit?»
«Wohin?» Urs fürchtete sich.
«Zu einer kleinen Nachtwanderung. Es ist wirklich
schade, jetzt schon zu träumen, oder?»
Der Bub folgte dicht hinter Bulles fester Gestalt.
Sie kletterten zum Waldrand hinauf, machten
Halt
und
lagerten sich im weichen Gras. Der Mond
stand schon hoch und warf gespenstisches Licht
über die
Gegend. Urs zupfte einen Grashalm ab und
spielte abwartend damit.
«Hast du schon geschlafen?»
«Nein, ich konnte nicht schlafen.»
«Warum denn? Ist dir nicht gut? Nach dem Geländespiel
ist man doch recht müde. Oder macht
dir die
Geheimmeldung zu schaffen?»
Urs schreckte zusammen. Also doch. Jetzt würde
der
Zauber wieder aufs neue losgehen.
«Warum läßt man mich denn nicht in Ruhe? Ich
habe doch gesagt, daß die Depesche nicht von mir
ist. Außerdem
beweist ja der Kalender, daß Rolf
sie
geschrieben hat.»
«Bist du da so felsenfest überzeugt?
Urs zuckte mit den Achseln.
«Laß mich doch endlich in Ruhe.»
«Eben das möchte ich tun. Ich will, daß du in Zukunft
Ruhe hast und wieder schlafen kannst.
Du
mußt wieder frei atmen können, Urs, das Gewissen
wühlt sonst in dir.»
Der Jungwächter versuchte kühl zu bleiben. Er biß
auf die Zähne. Es durfte nichts auskommen.
«Warum soll mich das Gewissen plagen?»
Bulle spürte, daß er so zu keinem Erfolg gelangen
konnte. Er mußte die Sache von einer andern Seite
anpacken.
«Schau, Urs. Gesetzt den Fall, daß Rolf tatsächlich
die falsche Meldung schrieb. Was ändert das jetzt
noch an der Tatsache, daß Ewald sein Bein gebrochen
hat? Der Haxen ist entzwei, der Fehler passiert.
Sicher, es hätte nicht sein müssen, doch rückgängig
machen können wir es nicht. Aber wir wollen Ruhe und Frieden, wir
wollen einen sauberen
Tisch. Der Hase
liegt nämlich an einer ganz anderen
Stelle im Pfeffer.»
Urs blickte ins Tal hinunter. Er verstand nicht,
was Bulle da meinte und wo er hinaus wollte.
«Was sagst du dazu, wenn ich dich in den Hilfsführerkurs
aufnehme?»
Der Bub schreckte auf. Hatte er recht gehört?
«Ich als Hilfsführer? Das kann ich nicht.»
«Du hast zu wenig Vertrauen in dich. Was nicht ist,
kann noch werden. Umsonst halten wir keine
Kurse. Auch die Führung einer Gruppe will gelernt
sein.»
Urs strahlte:
«Meinst du
wirklich? Das wäre natürlich pfundig.»
Er konnte es kaum fassen. Er, der Schwächling würde eine Gruppe
leiten dürfen. Aber jetzt kam
er sich erst recht schmutzig vor. Es ekelte ihn. Der
Dünkel seiner Lügnerei stieg ihm bis zum Hals.
Bulle meinte es so ernst mit ihm und er log ihn
dafür faustdick an.
«Wenn er jetzt erfährt, daß ich den Rolf so hereingelegt
habe, nimmt er alles zurück», dachte er und
spielte verlegen mit seinem Grashalm. Nein es war
zu dumm. Jetzt konnte er erst recht nicht mehr
zurück.
«Und Rolf, wird der auch Hilfsführer?»
«Rolf ist durchgebrannt.»
«Was?» tat Urs scheinheilig.
«Ja, und weißt du auch warum?»
«Warum?»
«Kennst du den Grund wirklich nicht?» Bulle
schlug dem Knaben kameradschaftlich auf die
Schultern. «Jetzt einmal Spaß beiseite, weißt du es
wirklich nicht?»
Urs stotterte:
«Wegen mir.»
«Siehst du, den ersten Schritt hast du getan. Möchtest
du das andere nicht auch sagen?»
Im Wald knackte ein dürrer Ast. Ein Reh wird die
Fährte gewechselt haben. Urs mußte die Tränen
zurückhalten und preßte die Lippen heftig aufeinander.
Bulle wartete geduldig. Er spürte, daß der
Bub einen heißen Kampf mit sich auszufechten
hatte.
Plötzlich schoß Urs hoch, stellte sich vor den Scharführer
und warf seine Arme verzweifelt in die
Luft:
«Ich bin ein
gemeiner Hund. Schmeiß mich zur Jungwacht raus, ich habe Rolf
dreckig gemacht.
Ich selbst habe
die Falschmeldung geschrieben. Den
Kalender hat er
verloren und ich habe ihn als Beweis
benützt.»
Jetzt war es draußen, wie ein Vulkan, der sich
unter der Erdkruste geballt hatte und dann
plötzlich
in die Luft schoß, so schleuderte Urs seine ganze
aufgestaute
Schlechtigkeit aus sich hinaus. Angefangen
von jenem verhängnisvollen Moment, da er
seine Meldung an
Rolf verloren hatte, bis zum
Lagerfeuer in
der Gewitternacht.
Dann setzte er sich erschöpft hin und wartete
auf
das
Donnerwetter. Aber es blieb aus. Lange Zeit
schwiegen beide.
Urs aber fühlte sich immer freier.
«Das war dein zweiter Schritt, Urs. Ich weiß, daß
er dich viel gekostet hat. Als angehender
Führer
aber mußt du noch mehr tun.»
Urs traute seinen Ohren nicht. Statt zu schimpfen,
nannte ihn Bulle ,angehenden Führer’. Das war zu
viel. Er schluchzte leise.
«Ich habe das alles gar nicht gewollt, aber die
andern hätten mich ausgelacht, wenn ich ohne
Meldung ins Lager gekommen wäre. Ich ahnte
nicht, daß es solche Folgen haben würde.»
«Ich weiß, du möchtest gerne wie die andern sein,
aber es gelingt dir einfach nicht. Doch mit
krummen
Touren kommst du hier nicht weit. Zumindest
hättest du nach
dem Unfall zur Sache stehen müssen.
Nicht die Falschmeldung an sich war das
Schlimme,
sondern die Verleumdung. Auch wenn
Rolf nicht dein
bester Kollege ist, auch wenn er
deine Depesche
geklaut hat, so darfst du ihm nicht
die Ehre
nehmen. Die Ehre ist ein wertvolles Gut jedes Menschen. Die muß man
hüten und pflegen, die darf man sich nicht entreißen lassen.
Außerdem hätte jeder versucht, den Zettel in die
Hand zu bekommen. Es handelte sich ja nur um ein
Spiel. Aber selbst im Leben geht nicht alles nach
Wunsch und Laune. Damit muß man sich einfach
abfinden. Oft kommt einer und schöpft den Rahm von der Milch, die
man selber gemolken hat. Deswegen
darf man ihn doch nicht gleich vernichten.
War das
wirklich so schlimm, daß du die Meldung
verloren hast? Jedem Meldeläufer kann so etwas
passieren. Ein bißchen Witz, der nicht bös gemeint
ist, muß man
doch ertragen können.
Was du da getan
hast, ist beinahe kriminell. So
kommen wir nie
ans Ziel, weder beim Geländespiel
noch in der Jungwacht und erst recht nicht
im Leben draußen.
Und jetzt ist Rolf davongelaufen.
Aus Verzweiflung, weil du ihn bei den
Kameraden und
bei mir unmöglich gemacht hast.
Entspricht das
dem siebten Jungwachtgesetz: ,Der
Jungwächter ist
ein zuverläßiger Kamerad', und
dem neunten:
,Er ist wahrhaft und froh', wenn man
andere durch
eine Lüge unglücklich macht?»
Urs blickt durch seine wäßrigen Augen zum Mond
auf.
«Wie kann ich das wieder gut machen?» stammelte
er.
«Durch den dritten Schritt. Durch eine Versöhnung
mit Rolf.»
«Der wird jetzt nichts mehr wissen wollen von
mir.»
«Ihr braucht ja nicht gleich ab heute die dicksten
Freunde zu sein. Das wäre zuviel verlangt. Aber ihr
müßt euch die Hand geben und nebeneinander
leben können. Die Freundschaft muß langsam
wachsen.»
«Aber wird Rolf wieder zurückkommen?»
«Ich habe ihn gefunden und lange mit ihm gesprochen. Er würde dir
sofort verzeihen.»
«Bulle, darf ich ihn nicht sehen? Ich will heute
Nacht noch Frieden schließen mit ihm. Ich habe
die Streiterei satt bis über die Ohren. Wir haben
uns rivalisiert, dabei könnten wir uns prima
verstehen.
Ich sag es ehrlich: Eigentlich hätte ich ihn
gut gemocht,
aber ich war neidisch, weil er bei den
andern besser
ankommt als ich, weil er stärker ist,
weil er alles
kann.»
«Schau Urs, ich glaube fast, es mußte alles so kommen.
Wer weiß, vielleicht war der Unfall und die
Falschmeldung
notwendig, um euch zusammenzuführen. Komm! Rolf erwartet uns auf dem
Chambersberg.»
Urs fühlte in seiner Brust etwas Befreiendes wie
schon lange nicht mehr. Alles in ihm sang und
jubelte. Er faßte neuen Mut und große
Hoffnung.
Nur eines machte ihm Herzklopfen: Die Begegnung
mit Rolf. Was würde er sagen; wie reagieren?
Er konnte es sich noch gar nicht vorstellen, daß sie, die ewigen
Feinde, nun friedlich zueinander
stehen würden, miteinander Hilfsführer werden und später jeder eine
Gruppe führen. Oh, die
Klassenkameraden
werden Augen machen, wenn
sie im Herbst
Schulter an Schulter zur Schule marschieren.
Drüben flackerte ein munteres Feuerchen zwischen
den Baumstämmen durch. Wie ein Gespenst beleuchtet,
hantierte Rolf daran herum. Jetzt standen
sich die beiden Buben gegenüber, beklommen
und wortlos.
Urs faßte sich ein Herz:
«Rolf, kannst du mir verzeihen? Ich habe dich eingeschmiert.
Die Meldung war von mir.»
«Eigentlich müßte ich dich um Entschuldigung bitten,
denn ich war nie nett zu dir», antwortete leise
der andere und reichte ihm die Hand. «Wir wollen das Kriegsbeil
begraben.»
Bulle schmunzelte. Aber er hatte zu viel Erfahrung, um gleich seinen
Gefühlen Ausdruck zu geben. Die
drei jungen Menschen setzten sich ans Feuer.
«Ihr dürft jetzt in eurer Freude die Wirklichkeit
des Lebens nicht übersehen. Es wird immer Zeiten
geben, wo Konflikte und Meinungsverschiedenheiten
auftauchen. Dann ist es wichtig, daß ihr euch
sofort wieder findet. Nicht der Streit an sich ist das Schlimmste,
sondern das Verharren in der Feindschaft.
Und diese darf in unseren Reihen nicht herrschen.
Ihr habt jetzt an euch selbst eine Sache erfahren,
die oft im Leben vorkommen kann. Nicht
nur heute, da
ihr Buben seid, auch später im Mannesalter.
Immer werden euch Menschen begegnen,
die anders denken und wollen. Trotzdem sollt ihr mit ihnen
zurechtkommen. Dazu müßt ihr euch
durchringen,
wenn ihr einmal Buben führen
wollt.
Ihr habt nun zwei Tage lang um einen
verschollenen
Schatz gekämpft, und die Bären haben ihn erobert.
Jetzt liegt die Kiste unbeachtet im Materialzimmer. Ihr beide aber
habt dabei den echten ,Goldenen Eber' errungen. Euer Schatz ist
wertvoll und
groß. Ihr habt
euch selbst gefunden. So hat die
Jagd nach dem
,Goldenen Eber' trotz Zwischenspielen
ihren berechtigten Sinn gehabt.
Jetzt aber habe ich für euch noch eine Überraschung.
Ab heute abend seid ihr Hilfsführerkandidaten.
Charli wird noch dazukommen. Am
Montag halten wir die erste Kursstunde. Ihr dürft sogar ab und zu an
den Führerrunden teilnehmen.»
Die Buben strahlten. So hätten sie den Ausgang
des heutigen Tages nicht erwartet.
Bulle warf einen Blick auf seine Uhr und zwinkerte
verschmitzt mit dem linken Auge.
«Ich denke, ihr habt wie ich Hunger.» Er zog
schmunzelnd drei Cervelats aus dem Hosensack.
«Wer
sucht Spieße?»
Urs verschwand im Gebüsch. Rolf zog seinen Dolch
und schnitt kreuzweise in die Würste, und schon
schmorten diese duftend über der Flamme. Das Fett
tropfte zischend in die Glut. Die Haut spannte und
öffnete sich und ließ das Fleisch hervorquellen.
Lange sprach keiner. Aber jeder spürte, was Kameradschaft ist. Für
Urs war es das erstemal in seinem
Leben, daß er bei einer so außerordentlichen Sache
dabei sein durfte. Und jetzt würde er sogar Hilfsführer
werden. Nie hatte er geglaubt, daß er es erreichen
könnte. Weit unten im Tal schlug eine
Turmuhr.
«Mitternacht, Geisterstunde», lachte Rolf.
«Wenn meine Mutter wüßte, daß ihr Sohn so spät
noch im Wald draußen hockt und Cervelats bratet»,
sagte Urs und riß mit seinen weißen Zähnen
ein Stück von
diesem knusprigen Braten.
Auch
Bulle biß
herzhaft in seine Wurst.
«Da nehme ich für heute die Verantwortung einmal auf mich.»
Bemerkung
aus dem Jahr 2013
Der "Goldene Eber" ist in die Jahre gekommen. Ich weiss nicht mal, ob
in der Jungwacht solche Geländespiele noch gespielt werden. Aber
fast 50 Jahre, nachdem wir dieses Geländespiel tatsächlich am genau
beschriebenen Ort im Jura gespielt hatten, muss ich etwas
schmunzeln. So vieles hat sich inzwischen verändert. Nicht nur in
der Jungwacht, auch in uns und um uns herum. Es gab da noch keine
Handys und doch haben wir kilometerweit kommuniziert. Die Jungwacht
war auch eine reine Bubenorganisation und man trug noch die
traditionelle "Kluft". Allerdings nicht ganz so, wie im Buch
beschrieben, während eines Geländespiels, dazu wäre sie doch zu
schade gewesen. Das Spiel trug sich aber sonst ziemlich genau so zu.
Ich war dabei der Boss der Bären, dem ich im Buch den Namen "Res"
gegeben habe. Nur die Haupthandlung mit dem Zwist der beiden
Protagonisten und dem Unfall ist glücklicherweise von mir nur
erfunden. Aber sie hätte so passieren können. Ja und ein wenig
geschummelt habe ich mit dem Schluss: Es ist uns Bären nämlich nicht
gelungen, den Schatz ins General-Wille-Haus zu bringen, obwohl wir
eine für damalige Verhältnisse neue List angewendet haben: Wir
versuchten, sie mit einem Taxi ins Ziel zu bringen. Im Buch
funktioniert das so, wie wir in den langen Diskussionen nach dem
Spiel gemeint haben, so hätte es gehen müssen. Es ist eben doch
schön, wenn man der Fantasie freien Lauf lassen kann und die
Handlungen dorthin führen kann, wo man sie gerne haben möchte.
Gerade das ist das Schöne am Geschichtenerzählen.
Harry Greis
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